Der Sprung in Geschichten

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"Wenn Sie das Buch öffnen, trägt Sie der fliegende Teppich über Städte und Wüsten und Meere hinweg zu einem geheimnisvollen Palast", schreibt Thomas Hürlimann über das Lesen in seinem jüngsten Buch "Der Sprung in den Papierkorb". Wozu springen Leserinnen und Leser in Bücher, in erfundene Sprachwelten? Vielleicht deshalb, weil Geschichten am Leben erhalten? Scheherazade wusste das: sie erzählte sich durch 1001 Nacht - und rettete ihr Leben. Weil jeder Spruch ein Spruch gegen den Tod ist, wie Elias Canetti einst schrieb?

Der amerikanische Schriftsteller Paul Auster lässt in seinem berührenden neuen Roman "Mann im Dunkel" einen 72-Jährigen sich selbst Geschichten erfinden, um durch die elendslange Nacht zu kommen, in der er nicht und nicht einschlafen kann. Erinnerungen an Versäumtes und die Trauer über den Tod seiner Frau plagen ihn. In dieser Nacht taucht seine Enkelin, die ebenfalls Grund zum Trauern hat, in seinem Zimmer auf, und die beiden erzählen einander ihre Lebens-, Liebes- und Schuldgeschichten.

Liebe und Tod, Erfinden und Erinnern

Liebe und Tod, Erfinden und Erinnern sind die Themen der Literatur. Was wären die Menschen ohne Erzähler - oder ohne Zuhörer? Ohne die Geschichten ihrer Leben, aber auch ohne die Geschichten ihrer Phantasie?

Hier die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft - und dort die Literatur: Eine solche Unterscheidung widerspricht den Lebenserfahrungen. Literatur ist aber auch nicht bloß Abbildung der "Wirklichkeit", aus der sie entsteht. Wirklichkeit gibt es ja auch nicht im Singular und es gibt sie vor allem nur durch unsere Wahrnehmungen. Menschen wirken durch Sprache, und Literatur wirft ihren kritischen Blick darauf; Menschen entwerfen ihre Welt, und die Literatur erzählt, dass es viele Welten gibt, oder wie Dimitré Dinev in einem Interview mit der FURCHE einmal sagte: "Die Literatur … erzählt die unzähligen Varianten der Geschichte, die vielen Geschichten, sie zeigt, dass die Dinge viel komplexer und viel menschlicher sind. Die Literatur kämpft gegen Vorurteile, gegen das schnelle Bilden von Urteilen. … Wenn es nur die eine Geschichte gibt, dann ist die Gefahr groß, dass eine Gesellschaft mehr oder weniger barbarisch wird."

Sie finden die Literatur in der FURCHE ab sofort als monatliche Beilage. Aber Literatur ist der FURCHE selbstverständlich keine Beilage im Sinne einer verzichtbaren Draufgabe. Literatur erklärt nicht unbedingt die Vorgänge in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Religion und Kultur, doch sie erzählt sie und sorgt dafür, dass Leserinnen und Leser auch die anderen Geschichten hören, sie nicht vergessen.

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