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Eine recht neue Kunst…
Vor allem aber sei wieder einmal eine Stimme aus dem maßgebenden, dem Primas Wyszyüski nahestehenden katholischen Organ, dem „Tygodnik Powszechny“, zitiert. Dort schrieb der Abgeordnete, Musikkritiker und geistreiche Feuilletonist Kisielewski: „Ich habe jetzt kein leichtes Leben, denn zahlreiche Leser überhäufen mich brieflich oder mündlich mit Vorwürfen. Sie werfen mir vor, ich zeige neuestens keinen Mut, ich kämpfe nicht, ich sei nicht in der Opposition. Nun, ich weise diese Vorwürfe entschieden zurück: ich kämpfe, ich bin in der Opposition, ich bezeige Mut. Ich kämpfe nämlich mit meinen Lesern, ich bin zu ihnen in Opposition, in diesem Konflikt zeige ich Mut. Denn es ist keine Kunst, auf die Regierung zu schimpfen, doch es ist eine recht neue Kunst, sich zur öffentlichen Meinung in Gegensatz zu stellen, zumal in einem so erleuchteten Organ wie der .Tygodnik Powszechny ᾠ All mein Denken und Sehnen und Tun dreht sich darum, daß Polen in der Welt als Staat mit festen Grenzen und Bündnissen existiere, daß es in vernünftigen Schranken seine Sonderart gesellschaftlich und geistig-kulturell behaupteᾠ Polens Rolle am Schnittpunkt zweier geistiger Welten ist die eines christlichen Landes von großer lateinischer Kulturüberlieferung, das in den Universalismus des Ostblocks eingebaut wird.“ Man mag diese Konzeption abstrus finden und insbesondere meinen, daß der Einbau eines christlichen, lateinisches Erbe hütenden, westwärts blickenden Volkes in einen marxistischen Ostblock ungefähr so harmonisch anmutet, wie eine gotische Kathedrale oder eine Barockkirche inmitten einer gigantischen Kaserne modernster Zweckarchitektur. Tatsache bleibt, daß mit Kisielewski viele Intellektuelle eines
Sinnes sind und daß seine Opponenten, die dem Regime unversöhnlich gegenüberstehen, in Polen selbst auf keinen Nachhall rechnen dürfen — soweit es die Außenpolitik betrifft.
Die Wohnungs- und Einkommensnöte
Etwas anderes ist es mit der Innenpolitik und mit der Wirtschaft. Da ereignet sich das Umgekehrte. Bejahen auch Katholiken, die Mehrheit der
Inteligencja, ja der einstigen Aristokratie, das Sowjetbündnis, wenigstens in der gegenwärtigen Weltlage, so erfährt das „System“, die Leitung der Partei und des Staates, scharfe und allseitige Kritik bis hinein in die Reihen der PZPR. Eine auswärtige, des Polnischen kundige Persönlichkeit, die jüngst Polen besuchte und Gespräche mit zahlreichen Arbeitern hatte, war erstaunt, mit welcher Heftigkeit diese ihr gegenüber Klagen und Anklagen vorbrachten. Die Hauptbeschwerde richtet sich, sehr mit Fug, gegen die Wohnungsverhältnisse und gegen die erschreckend niedrigen Einkommen.
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