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Die Familie, die Schule machte

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Der Erfolg der großen „Donauschule“-Ausstellung 1965 im Stift Sankt Florian hatte das Land Oberösterreich auf den Geschmack gebracht, umfassende Dokumentationsausstellungen der für das Land charakteristischen Stilentwicklungen zu zeigen. Um so leichter entschloß man sich, das bereits vor Jahren in Angriff genommene, allerdings kostspielige Projekt einer Ausstellung „bayrischer Barockkunst“ zu verwirklichen. Die Beschäftigung mit dem bis 1815 „bayrischen“ Innviertel als „kunsthistorische Landschaft“ ließ allerdings dieses Projekt allmählich ganz andere Züge annehmen: Denn die Sachbearbeiter stießen bei ihren Vorarbeiten fast überall auf Leitlinien, die „Schwanthaler“ hießen.

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Der Erfolg der großen „Donauschule“-Ausstellung 1965 im Stift Sankt Florian hatte das Land Oberösterreich auf den Geschmack gebracht, umfassende Dokumentationsausstellungen der für das Land charakteristischen Stilentwicklungen zu zeigen. Um so leichter entschloß man sich, das bereits vor Jahren in Angriff genommene, allerdings kostspielige Projekt einer Ausstellung „bayrischer Barockkunst“ zu verwirklichen. Die Beschäftigung mit dem bis 1815 „bayrischen“ Innviertel als „kunsthistorische Landschaft“ ließ allerdings dieses Projekt allmählich ganz andere Züge annehmen: Denn die Sachbearbeiter stießen bei ihren Vorarbeiten fast überall auf Leitlinien, die „Schwanthaler“ hießen.

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Thomas Schwanthaler, der bedeutendste Träger dieses Namens, taucht 1650 als renommierter Bildhauer auf, der gegen Innviertler Künstler prozessiert, Bonaventura, der eigenwillig-hochbegabte, kämpft Ende des 17. Jahrhunderts in den Bauernkriegen um Schärding, Franz Jakob begründet das Münchner Künstlerviertel Schwabing, Johann Georg arbeitet in Gmunden, Ludwig von Schwanthaler, in München geboren, zählt zu den meistbeschäftigten Künstlern seiner Zeit, erringt sich in München mit seinem Bavaria-Denkmal und mit den Viktorien für die Befreiungshalle in Kehlheim eine Art Monopolstellung; er ist ebenso in Wien gefragt, wo er im Auftrag Kaiser Ferdinands den Austria-Brunnen schafft, und in Salzburg, wo er Schöpfer des Mozart-Denkmals wird.

Auf der Suche nach einem geeigneten Ausstellungsort für das Oeuvre der Schwanthaler einigte man sich dann sehr rasch auf das Augustinerchorherrenstift Reichersberg am Inn, das nach dem Brand von 1624 als eine der originellen Schöpfungen des bayrischen Barocks von bedeutenden bayrischen, salzburgischen und innviertler Künstlern neugestaltet wurde. Galt es doch zugleich, das prächtige Stift zu renovieren und diese Arbeiten — wie es heute fast überall geschieht — auch gleich dem kunsthistorischen Dokumentationszweck nutzbar zu machen. Der andere Hauptzweck der bis 13. Oktober geöffneten Ausstellung, die Klärung kunstwissenschaftlicher Probleme und die gerechte Einordnung der Schwanthaler in die alpenländische Barockplas'tik, stehen zu großen Teilen noch aus.

In ihrer Art ist diese Familie tatsächlich ein einzigartiges Phänomen, das in der österreichischen und deutschen Kunstgeschichte keinen Vergleich besitzt. Ein Viertel Jahrtausend lang, von etwa 1633 bis 1879, lassen sich die Schwanthaler in ununterbrochener Reihenfolge von sieben Generationen mit 21 Trägern dieses Namens als Künstler nachweisen. Die Spannweite, in Reichersberg mit etwa 300 Hauptwerken von 16 Familienmitgliedern belegt, reicht vom mittleren Barock bis zum „romantischen“ Schwanthaler-Kreis im Klassizismus.

Hans Schwanthaler, korrekt: „Schwabenthaier“, im Zuge der Ereignisse des 30jährigen Kriegs zusammen mit anderen „Schwaben“ vor den Schweden nach Osten ausgewichen, wird 1633 im Hochzeitsbuch der Pfarre Ried erstmals urkundlich erwähnt: „24. Huius (Oktober) der Hans Schwabenthaier, ein bildschnitzler. Junckfrau Catharina, des erbaren Christoph Oeberis, hof-vischers zu Troschburg, bei Agnes selig eheliche Tochter.“

Die tatsächliche Herkunft des Namens dürfte freilich mit „Schwaben“ nichts zu tun haben, vielmehr von Schwein'thal kommen, was dem Mittelhochdeutschen „sweinen“ — das ist roden — entstammt. Womit man eine lückenlose Erklärung hätte: „Troschburg“ ist Trostberg, 25 km von Altötting, der Hof lag an einem bewaldeten Tal... Und tätsächlich finden wir in Altötting bereits 1498 Swaintaller, 1665 Schwalmtal!, 1687 heiratet Adam Schweinthaler auf den Zipferbrauhof zu Altötting und wird der Ahnherr einer heute noch existierenden Schwanthaler-Familie.

Die wichtigsten Werke der Ausstellung zeigen sowohl die Modernität der frühen Schwanthaler wie ihre Verhaftung im landschaftlich bedingten Zeitstil. Hans Schwabenthalers Madonna von 1638 hebt sich zeitgenössischen Werken gegenüber deutlich ab, schmilzt er doch bereits merkbar letzte gotische Elemente in weichere Barockformen um. Mit seinem Sohn Thomas erreicht die Barockkunst der Schwanthaler ihren Höhepunkt: Barockes Pathos, theatralische Gestaltung der neutestamentarischen Szenen, seine Altarfiguren in Holz, Marmor, Metall und Elfenbein, zählen zu den ausdrucksstärksten Werken österreichischen Barocks. In manchen Details leitet er bereits zu den Werken seines Sohnes Johann Peter über, der die Zuwendung zum Rokoko vollzieht, fein stilisierte Altargruppen schafft. In Gmunden entwickelt gleichzeitig Johann Georg seinen Genrestil: schön geformte Tierplastiken, Kinder- und Puttenszenen sind seine Stärke, mit der er sowohl dem Zeitgeschmack entspricht als auch Bedeutendes als Künstler leistet.

Ihre große Wende vollzieht die Familie mit Franz Jakob, der 1785 nach München geht und sich für die späthöfisch und großbürgerliche Bildhauerei engagiert. Herrscherporträtbüsten, historisierende Statuen, dem puristischen Geschmack der Wittelsbacher und ihres Architekten Klenze entsprechend, die dem frühen akademischen Eklektizismus verwandten „Architekturplastiken“ sind seine Stärke. Was er vorbereitet, vollendet sein Sohn Ludwig, der es unter König Ludwig I. zum Hofkünstler bringt und mit der Ruhmes-hallen-Bavaria, dem Frankfurter Goethe-Denkmal und anderen klassizistischen Arbeiten konsequent in der Plastik den Historismus entwickelt.

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