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Die streitende Versammlung der „Halbgötter

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Als am 10. Mai des Jahres 1775 der zweite Continental Congress in Philadelphia zusammentrat, um sich mit den Folgen der Kriegshandlungen und einer höchst angespannten Situation zwischen dem Mutterland und den Kolonien zu befassen, waren sich nur wenige der im „Second Continental Congress“ Versammelten bewußt, daß es dieser Körperschaft obliegen werde, die Unabhängigkeit der Kolonien zu proklamieren und den Bruch mit dem Mutterland herbeizuführen.

Noch erhob George Washington jeden Abend im Kreise seiner Offiziere sein Glas „auf das Wohl Seiner Majestät“. Die im Juli des Jahres 1775 verfaßte „Olive Branch Petition“ sprach von der starken Bindung der Amerikaner an die Person und die Familie ihres Monarchen. Im November des gleichen Jahres hielt der große Parlamentarier Edmund Burke seine noch heute lesenswerte Rede über die Versöhnung mit den Kolonien. Der amerikanische Historiker Samuel Eliot Morison kommt zu dem Ergebnis, daß ein erheblicher Teil der im Second Continental Congress versammelten Amerikaner weder die Trennung vom Mutterland noch eine neue Staatsform gewünscht hätten, da so

mancher der späteren Väter der Verfassung die britische konstitutionelle Monarchie als überlegene Staatsform ansahen und die berechtigte Furcht hegten, daß Republiken leicht den Nährboden für Demagogen und Diktatoren abgeben könnten.

Merkantilismus gegen Freihandel

Im Grunde stießen zwei wirtschaftliche Vorstellungen aufeinander, die

damals nicht so leicht in ihrer jeweiligen Tragweite erkennbar waren, wie sie es heute für den rückblickenden Betrachter sind. Der von dem Kabinett North bevorzugte Merkantilismus und der Freihandel, wie ihn Adam Smith und Burke vertraten. Mit der Neigung zum Freihandel verband sich bei den Siedlern der Neuen Welt auch eine Rechtsvorstellung, die der große Jurist

Blackstone in seinen „Commentaries on the Laws of England“ niedergelegt hat. „Das Naturrecht“, sagte Blackstone, „ist so alt wie die Menschheit selbst. Es geht auf Gott zurück und ist als Gesetz jedem anderem Gesetz übergeordnet. Menschliche Gesetze (also das positive Recht) verlieren ihre Gültigkeit, wenn sie gegen diese höhere Norm verstoßen.“

Die erste provisorische Verfassung der Vereinigten Staaten, die „Articles of Confederation“, die im Jahre 1777 erlassen wurden und den Höhepunkt der Tätigkeit des Second Continental Congress darstellen, besagt, daß der Titel der neuen Konföderation „The United States of America“ sein solle. Schon in der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 hatten sich die Mitglieder des Second Continental Congress „the Representatives of the United States in General Congress assembled“ bezeichnet. Mit den „Articles of Confederation“ war eine wichtige Etappe auf dem Weg zu der endgültigen Verfassung gefunden. Damals hoffte man zunächst, daß mit diesem im Jahre 1781 ratifizierten Dokument die gemeinsame Verfassungsgrundlage gefunden worden sei. Das gemeinsame Außenamt, das Kriegsministerium, das Treasury

Department und die Postverwaltung verdanken diesem Dokument ihre Entstehung. Überdies war die Autorität General Washingtons so groß, daß sie jeden Streit über die Form der Präsidentschaft überwog. Dennoch heißt es im Artikel II der Articles of Confederation von den nunmehr zu souveränen Staaten gewordenen Kolonien: „Each State retains its sovereignty, freedom and independence“, das heißt also, mit gewissen Einschränkungen waren die Einzelstaaten völlig darauf bedacht, nur dort, wo es unbedingt nötig war, etwas von dieser Souveränität an das Federal Government abzugeben, weshalb man fehlgeht, wenn man den Ausdruck „Federa-lists“ mit unserem „Föderalisten“ übersetzt. Die „Federalists“, Anhänger einer starken Zentralregierung, vornehmlich Alexander Hamilton, waren Zentralisten. Ihnen standen die „Federationists“ gegenüber, die Anhänger besonders starker Privilegien der Einzelstaaten. Bis heute durchzieht der damalige Grundkonflikt die Geschichte der Vereinigten Staaten, und immer wieder wurde, insbesondere in der Wahlkampagne des Jahres 1948, die Parole von den „States Rights“ laut, von den Rechten der Einzelstaaten, die durch eine allzu starke Zentralregierung eingeschränkt worden waren.

Die jungen Männer

Wenn man die „Articles of Confederation“ liest, fällt einem sofort auf, daß der Vorsitz des Kongresses so vage definiert und in seinen Befugnissen zeitmäßig so beschränkt war (ein Jahr), daß er ohne jede Autorität bleiben mußte. Im Grunde gab es in diesem Dokument keinen

Platz für eine funktionsfähige Präsidentschaft.

Unter den Auspizien von George Washington kamen Vertreter von nur fünf Staaten im Jahre 1786 in Annapolis zusammen, um über die Probleme zu beraten, die sich aus den vielen Unzulänglichkeiten des neuen Verfassungsdokumentes ergeben hatten. Unter ihnen waren jedoch Hamilton und Madison, die es fertigbrachten, die Vertreter der anderen Staaten zu veranlassen, Abgesandte zu einer neuen „Convention“ zu entsenden, die im Jahre 1787 in Philadelphia stattfinden sollte. Als Hauptgrund, ja als einzigen Grund für diese Einladung wurde die „Revision“ der „Articles of Confederation“ bezeichnet.

In Wirklichkeit sollte es ganz anders kommen. Man erkannte bald, daß eine Revision der „Articles of Confederation“ der Notwendigkeit einer wirklich stabilen Verfassung nicht entsprechen könne, und so beschloß man, ein völlig neues Verfas-

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