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„Schmerzliche Prüfungen“

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„Die Vereinigten Staaten von Amerika werden heuer 200 Jahre alt. 1776 wurde bekanntlich die amerikanische Unabhängigkeits-erklärung unterzeichnet. Die Amerikaner begehen dieses Jubiläum indessen weit über ihren Nationalfeiertag hinaus mit dem sogenannten „Bicentennial“, das sich über einen Zeitraum von fast zwei Jahren erstreckt und aus tausenden Festlichkeiten und Veranstaltungen jeder Art und Größenordnung in ganz Amerika besteht.

Das Jahr 1976 ist eine stolze Zeit für alle Amerikaner, denn es bezeichnet das 200jährige Jubiläum der Gründung unserer Nation. Mit Freuden teile ich meine Gedanken über unser Land, seine Vergangenheit und seine Zukunft.

Vor 200 Jahren erforderte es von den Männern und Frauen der dreizehn Kolonien großen Mut, die Fesseln abzustreifen, die sie an ihr Mutterland banden. Aber ihre Sehnsucht nach Freiheit war

stärker als ihre Angst vor der Zukunft.

Und welch eine Zukunft es werden sollte! Heute würden die Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung die mächtige Nation, die in nur zwei Jahrhunderten geformt worden ist, kaum wiedererkennen. Aber sie wären nicht überrascht. In ihrer Weisheit legten sie den Grundstein zum Recht jeden Bürgers auf „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“. Die Garantie solcher Grundrechte hat Millionen begabter und fleißiger Einwanderer aus aller Welt angezogen, mit deren Hilfe Amerika zu jener Nation wurde, die wir heute kennen.

Die amerikanische Gesellschaft ist mit 200 Jahren weder vollkommen noch selbstzufrieden. Amerikas Zukunft ist noch heller als seine Vergangenheit. Das Schicksal Amerikas verlangt jeder nachfolgenden Generation das Beste

ab; heute wird dies von uns gefordert.

Unsere Geschichte ist durch schmerzliche Prüfungen gekennzeichnet, aber immer hat es Fortschritt gegeben. Amerika ist und

wird weiterhin jenes Bollwerk für Männer und Frauen unabhängigen Geistes sein, das es 1776 war.

Unser frühes nationales Erbe lebt heute in zahllosen Aspekten unserer Gesellschaft weiter, ganz besonders in unserem beständigen System der repräsentativen Regierung, unserer freien Presse und unserer Achtung für die Rechte des einzelnen.“

sungsgebäude zu entwickeln. Franklin nannte die Teilnehmer an der „Grand Convention“ eine „Versammlung von Halbgöttern“. Dies mag wohl sehr übertrieben sein, doch muß man zugeben, daß mit Männern vom Range eines Washington, Madi-son, Hamilton, John Dickinson, Gouverneur Morris, Emund Randoph, Männer von großem Talent zusammengekommen waren. Es entsprach durchaus den ererbten kritischen Vorstellungen, junge Männer mit großer Verantwortung auszustatten. Alexander Hamilton war 30 Jahre alt, Madison 36, als die Sitzungen der „Convention“ begannen. Ebenso selbstverständlich war es für traditionsbewußte Angelsachsen, daß auch dem Alter ein Platz gewährt werden müsse: Franklin war bereits 82 Jahre alt, als er eine nicht unerhebliche Rolle in diesem Konvent zu spielen hatte. Unserer Zeit blieb es überlassen, den Kult der „Jugend“ als etwas Außergewöhnliches darzustellen und erfahrene Menschen auf Grund einer billigen Altersklausel zur Untätigkeit zu verdammen. Die angelsächsische Welt, in der ein jugendlicher Pitt als Premierminister Gegner Napoleons werden sollte, war trotz ihres offensichtlichen Konservatismus, vielleicht sogar wegen dieser geistigen Haltung, niemals der politischen Schizophrenie moderner Parteigremien verfallen. Man muß allerdings gestehen, daß Dreißigjährige von heute an Wissen und Erfahrung nur sehr selten an ihre Vorbilder im ausgehenden 18. Jahrhundert heranreichen.

In einem heute vielfach in Vergessenheit geratenen Verfassungsentwurf (The Constitution as repor-ted by the Committee of Detail, August 6, 1787), der nur knapp vor dem endgültigen Text der Verfassung, wie er bald vorliegen sollte, entstand, war eine Präsidentschaft ins Auge gefaßt, deren Dauer sieben Jahre betragen sollte. Diese „magische“ Zahl tauchte vor wenigen Jahren wieder auf, als man, bevor der Watergateskandal ausbrach, in den Vereinigten Staaten nach einem Mittel suchte, die Dauer der Präsidentschaftsperiode zu verlängern. Meist wurden wirtschaftliche Argumente ins Treffen geführt und eine so nüchterne, eher unpolitische und historisch desinteressierte Zeitschrift wie „Business Week“ war für eine solche verlängerte Amtsperiode eingetreten. Die Quelle liegt im Dunkel der Convention Debates verborgen, in das nur die persönliche Mitschrift Madisons Licht brachte. Die viel später veröffentlichten offiziellen Notizen würden uns nur sehr wenig über die Standpunkte und Debatten dieser Convention sagen.

Das ungeschriebene Recht

Wenn man die Verfassung der Vereinigten Staaten heute liest, wird man feststellen, daß das Aufkommen des modernen Parteiapparates zweifellos viele der ursprünglichen Intentionen der Verfassungsväter verändert, ja geradezu in ihr Gegenteil verkehrt hat, etwa im Falle des Wahlmännerkollegs. Auch konnte damals niemand ahnen (mit Ausnahme Hamiltons), daß vier Jahre eine viel zu kurze Amtszeit waren, um eine Kontinuität der Staatsspitze zu gewährleisten. Hamilton hatte recht, als er von der Überlegenheit der konstitutionellen Monarchie sprach, doch diese war in den Vereinigten Staaten nicht anwendbar, wenigstens nicht nach dem Bruch mit dem Mutterland. Die neue Verfassung sollte einen Ersatz für das bieten, was man verloren hatte.

Es ist ein grundsätzlicher Irrtum der in starren Kategorien denkenden Verfassungs Juristen, anzunehmen, daß die europäischen Verfassungen aus der Zeit nach 1918 Grundsätzliches von der Verfassung der Vereinigten Staaten übernommen hätten. Sie entbehren der Flexibilität und des Grundgedankens, daß über der geschriebenen nach wie vor die „ungeschriebene Verfassung“ stehe, ähnlich wie über dem geschriebenen Gesetz das ungeschriebene Recht steht. Der Adler der Vereinigten Staaten trägt auf der Rückseite auch die bezeichnende Inschrift „Annuit coeptis“. Auf den größten Dichter Roms zurückgreifend, auf Vergil, verband man, in christlicher Deutung seiner Verse „Gott war dem Beginnen hold“, die irdische mit der überirdischen Sphäre.

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