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Drei von zehn und die Außenpolitik

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Man muß sich auch davor hüten, die Möglichkeit eines amerikanischen nationalen Traumas nach französischen oder deutschen Maßstäben zu bewerten. Die Masse der Amerikaner ist nicht nur an Außenpolitik uninteressiert, sondern auch von dem ihr in der Unabhängigkeitserklärung zugestandenen Recht auf Verfolgung der Glückseligkeit so in Anspruch genommen, daß sie sich gar nicht darum kümmern kann. Nach einem Artikel im „New York Times Magazine“ haben überhaupt mir drei von zehn Wählern eine Ahnung von den hauptsächlichen Problemen in der Außenpolitik.

Neben den außenpolitischen Schwierigkeiten darf die Bedeutung der innerpolitischen und wirtschaftlichen Momente für die sich anbahnende reaktionäre Bewegung nicht verkleinert werden. Wenn die Vereinigten Staaten außenpolitische Erfolge verzeichnen könnten, ließen die sogenannten Konservativen die hohen Steuern, die Beschränkung der persönlichen Initiative, die Zuwendung zum Wohlfahrtsstaat, die Gleichberechtigung der Rassen, wenn auch murrend, über sich ergehen, ohne diese Erfolge lehnen sie die in Washington vertretene Auffassung von den Rechten und Pflichten einer Regierung in Bausch und Bogen ab.

Um das besser zu verstehen, muß man auf die amerikanische Revolution zurückgehen. Wir können hier natürlich nur in großen Strichen skizzieren und müssen dafür den Vorwurf der schrecklichen Vereinfachung in Kauf nehmen. Die amerikanische Revolution wurde von den besitzenden Schichten inszeniert. Nach ihrem Sieg sorgten sie dafür, daß sie das Heft in der Hand behielten.

Die Herrschaft der Wohlgeborenen und der Wohlhabenden

In der Unabhängigkeitserklärung wurden die Rechte des Individuums überbetont. Bekanntlich wurde sogar die Verfolgung des Glücks als eines der „unveräußerlichen Rechte“ bezeichnet. Über die Pflichten des Individuums gegenüber dem Staat dagegen wußte man nichts zu sagen. Die wirtschaftliche Politik Alexander Hamiltons, des ersten Leiters des Schatzamtes und vielleicht größten amerikanischen Staatsmannes, der das Volk als eine „große Bestie“ ansab, war darauf abgestellt, die Herrschaft der Wohlgeborenen und der Wohlhabenden zu festigen.

Die zuerst unter dem Präsidenten Andrew Jackson einsetzende und sich sehr langsam entwickelnde Demokratisierung führte zwar allmählich zu einer Beseitigung der Herrschaft der Wohlgeborenen, verlagerte dafür aber das Schwergewicht ganz auf die Wohlhabenden, was sich für den Staat ungünstig auswirkte. So waren die ersten sechs Präsidenten allesamt bedeutende und hochstehende Männer, während darnach überragende Leute nur selten die Präsidentschaft erwarben.

Die erste Bresche in die Herrschaft der Wohlhabenden wurde 1911 geschlagen, als es endlich gelang, die Einkommensteuer einzuführen. Frühere Versuche waren am Widerstand des Obersten Gerichtshofes gescheitert, der sich bis tief in die Regierung Franklin Roosevelts als Bollwerk der Vorrechte der Besitzenden erwies. Dem Mitteleuropäer erscheint es schier unglaublich, daß Sozialfürsorge, Förderung der Gewerkschaften und ähnliche Maßnahmen erst unter dem New Deal begannen, das dafür noch heutigen Tages von Reaktionären als „phony, foreign and a failure" (Schwindelei, ausländisch und ein Fehlschlag) bezeichnet wird. Es ergänzt dies Bild, daß ein unwider- legtes Argument der Gegner der Todesstrafe besagt, daß immer nur arme und unbedeutende Verbrecher zum Tode verurteilt werden.

Dieser oberflächliche Abriß erklärt, warum heute noch unter den Wohlhabenden soviel Widerstand gegen solche wirtschaftliche und soziale Maßnahmen der Regierung besteht, die in Europa längst als selbstverständlich angesehen werden. In dieser Widerstandsfront stehen die Ärzte an vorderster Stelle, denn sie verabscheuen jede Form staatlicher Krankenversicherung als „sozialisierte Medizin". Da die ärztlichen Honorare hierzulande so hoch sind, daß nur die ganz Reichen oder die ganz Armen (die unentgeltlich behandelt werden) es sich leisten können, krank zu werden, möchte Präsident Kennedy wenigstens für die alten Leute eine staatliche Krankenversicherung einführen. Es ist sehr fraglich, ob ihm dies gegen den erbitterten Widerstand der AMA (American Medical Association) gelingen wird.

Wieviel rückständiger die sogenannten Konservativen geworden sind, geht aus einem Vergleich zwischen Senator Taft, einem echten Konserva- tiven, der bis zu seinem Tode, 1952, das Sprachrohr der Konservativen war, und Senator Goldwater, dem Führer der heutigen Konservativen, hervor. Taft trat für Wohnbauförderung und Erziehungsbeihilfe durch den Bund ein. Goldwater lehnt diese Maßnahmen als „sozialistisch“ ab.

Im Vorhergehenden haben wir die theoretischen Voraussetzungen für eine amerikanische Reaktion zu klären versucht. In einem zweiten Beitrag wollen wir die hauptsächlichen Träger der Reaktion in den USA untersuchen.

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