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Größe und Mühe, Pathos und Angst

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Rudolf Lewandowski: ein Österreicher in Frankreich: nun liegt sein Buch über das Frankreich de Gaulies in den Bücherläden. Wer meint, daß es sich dabei um einen der biographischen Monologe über den großen Gallier handelt, irrt. Hier liegt, fernab von nationaler Glorifizierung, aber mit der Emphase eines Freundes Frankreichs, ein zeitgeschichtliches Dokument vor, das quasi Pflichtlektüre für alle jene sein müßte, die die Entwicklung Europas in den letzten 15 Jahren verstehen wollen. Lewandowski bietet das derzeit faszinierendste und umfassendste Buch über die Gegenwart und unmittelbare Vergangenheit Frankreichs an — und das auf nur 200 Seiten, was Einfachheit und Lesbarkeit der Lektüre ermöglicht. Man lernt Frankreich an diesem Abriß seiner Geschichte kennen: Die letzten Schwächen der IV. Republik, den Einsiedler von Colombey, die Krise in Algerien, die ersten Referenten, die Wahl de Gaulles zum Staatspräsidenten; das Wachsen der Gaullisten, die Krise der übrigen Traditionsparteien; schließlich aber die Rivalitäten innerhalb der Partei und um die Person des alten Mannes de Gaulle; die Staatskrise von 1968, das letzte Referendum, der Abschied von der Macht.

Daneben aber erwachsen die weltpolitischen Fäden, die der „Monarch“ spinnt, die Spannungen mit den USA, das mühsame Werden Europas, das Veto gegen den EWG-Beitritt der Engländer, die Kontakte mit dem Deutschland Konrad Adenauers; schließlich die Mittelmeerpolitik de Gaulles und seine mißdeutete Rolle im Nahostkon-flikt.

Lewandowski versteht es, vor allem dem Österreicher als Leser die Plastizität dieser aus Größe und Mühe, Pathos und Angst zusammengesetzten Atmosphäre des Gaullis-mus nahezubringen. Zentral aber bleibt der Mensch de Gaulle als Politiker im Scheinwerferlicht. Nur seine Persönlichkeit hielt und hält diese V. Republik zusammen — selbst über den Tod hinaus. Der Autor bringt diesen Menschen in seinen Facetten dem Leser nahe, er deutet seine Persönlichkeit, die die einen als Relikt im 19. Jahrhundert, die andern im 21. Jahrhundert angesiedelt wissen wollten. Welche Bedeutung der Alte von Colombey-les-Deux-Eglises aber wirklich hatte, kann freilich selbst dieses Buch nicht beantworten. Das Ergebnis einer wertenden Geschichte steht noch aus.

Eine Faszination aus Zeitgeschichte. Ein Buch, das in keiner politischen Bibliothek fehlen dürfte.

SEINE 5. REPUBLIK. — DAS FRANKREICH DE GAULLES. Von Rudolf Lewandowski, Verlag Styria, 216 Seiten.

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