6882075-1979_13_09.jpg
Digital In Arbeit

O tempora, o zores!

Werbung
Werbung
Werbung

Immer auf den Religionsunterricht loszugehen, war den Jusos offensichtlich schon fad, also suchte man sich einen anderen Buhmann unter den Schulfächern und fand ihn in der Sprache Ciceros und Ovids. „Wir wollen hier keine Revolution machen, aber eine Diskussion anregen“, meinte - laut Schülerzeitungsagentur der Gewerkschaftsgruppe Schülerzeitungen - Thomas Kutalek vom Sozialistischen Schülerzentrum zur Aktion „Schüler gegen Latein“. Si ta-cuisses...

Die in der Zeitschrift der Wiener Sozialistischen Jugend, „Ventil“ (aus welcher Sprache das wohl kommt?), im Dezember gestellte Frage „Latein abschaffen?“ erhielt in der Februar-

Nummer eine deutliche Antwort: „Latein? Nein, danke!“ Wie dieser Slogan den Kernkraftgegnern entlehnt ist, so ist auch ein Großteil der zur Anti-Latein-Argumentation herangezogenen Wörter der lateinischen Sprache entlehnt. Quod erat demonstrandum.

Inzwischen ist das Thema nicht nur zu Club-2-Ehren gelangt, hat nicht nur Stellungnahmen von Ministern (die vielleicht ganz glücklich wären, wenn die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes in Vergessenheit geriete) hervorgerufen, sondern auch Eingang in andere Schüler- und Jugendzeitungen gefunden.

An den Hochschulen rennen die Latein-Gegner mit dem Wunsch nach Abschaffung des Latinums (Latein als Voraussetzung für bestimmte Studien) offene Türen ein. Im „Ju-ristl“ beispielsweise, dem Informationsblatt der Fachschaft Juristen an der Universität Wien, ist bereits von einem gesamtösterreichischen Konsens der Fachvereinigung Juristen die Rede, wonach das Latinum „durch spezielle Kurse für rechtswissenschaftliche Terminologie oder auch römische Realienkunde ersetzt“ werden sollte.

In der Vorarlberger Jugendzeitung „Polyp“ heißt es, daß „heute alles gegen einen weiteren Lateinunterricht“ spreche, dieser aber wohl nicht von heute auf morgen abzuschaffen sei. Immerhin könnte inzwischen „ein Umdenken der Lateinprofessoren im Hinblick auf die Notengebung diesen unnötigen Ballast zumindest erleichtern“.

Nicht als Ballast - sapiens suum portat - empfindet man Latein in der Wiener Schülerzeitung „Blitzlicht“: „Es schult das logische Denken! Es erfordert Konzentration und trainiert dabei das Gehirn! Latein nicht als Voraussetzung für das Jusstudium? Nein! Denn Politiker sind Juristen, und wer will sich schon von einer Regierung Gesetze geben lassen, die Latein aus geistiger Unfähigkeit nicht lernte?!“

Bis sich die Latein-Gegner also völlig durchsetzen, wird jeder einzelne von ihnen der Zähigkeit des alten Römers Cato bedürfen und immer wieder verkünden müssen: „Cete-rum censeo linguam Latinam esse de-lendam!“ heiki

• MKV-Kartellsenior Günther Of-ner legte nach der März-Schülerkonferenz des MKV in Wien-Strebersdorf einen Forderungskatalog vor. Ofner wies im besonderen darauf hin, daß sich die Selbstmorde Jugendlicher seit 1966 verdreifacht haben, daß 33.000 Schüler weiterführender Schulen in gesetzwidrig überbelegten Klassen unterrichtet werden, daß der Drogenkonsum in den letzten beiden Jahren um fast 40 Prozent gestiegen ist, daß sich derzeit über 25.000 Studenten auf den Lehrberuf vorbereiten, in den nächsten zehn Jahren aber maximal 10.000 Lehrer pensioniert werden. Eine Humanisierung des Schullebens und eine Senkung der Klassen-schülerzahlen könnte nach Ansicht des MKV zur Lösung dieser Probleme beitragen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung