Streit um Caesar, Cicero und Co.

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Mit seinem Vorschlag, Latein im Gymnasium zum Wahlfach zu machen, sorgt VP-Bildungssprecher Werner Amon seit Wochen für Diskussionen. Wie wichtig ist die regina linguarum, die Königin der Sprachen?

Werner Amon ist ein Gallier - zumindest im Geiste. Wie jenes legendäre Dorf am Rand des besetzten Galliens wird auch er nicht müde, Widerstand zu leisten. Doch nicht so sehr Gaius Iulius Caesar (siehe Büste), sondern seine Sprache ist ihm ein Dorn im Auge: Anfang Dezember sorgte der Bildungssprecher der ÖVP mit dem Vorschlag für Aufregung, Latein als Pflichtfach im Gymnasium abzuschaffen und in ein bloßes Wahlfach umzuwandeln. Während im Gymnasium als einzigem Schulzweig der AHS Latein verpflichtend ab der dritten Klasse angeboten wird, können sich Schüler an Realgymnasien in der 5. Klasse zwischen Latein und einer lebenden Fremdsprache entscheiden. "Wenn es für die Schüler die Möglichkeit gibt zu wählen, dann wird Latein abgewählt", glaubt Amon. Würde aber die Sprache zum Wahlfach, könnte sie auch nicht mehr als Voraussetzung für Universitätsstudien wie Jus oder Medizin verlangt werden, lautet seine Schlussfolgerung.

Nach der Idee von Aufnahmetests in die AHS war dies Amons zweiter Reformvorschlag innerhalb eines Jahres, der die Gemüter erregte - diesmal jedoch vornehmlich jene in der eigenen Partei. "Latein als Pflichtfach abzuschaffen ist, wie in der Volksschule das Einmaleins aus dem Mathematik-Unterricht zu nehmen", befand der steirische VP-Landesrat Gerhard Hirschmann. Auch Bildungsministerin Elisabeth Gehrer stellte fest: "Latein bleibt Pflichtfach" - nicht jedoch, ohne Amon mit der Einschätzung in Schutz zu nehmen, fünf Wochenstunden Latein in den vierten Gymnasialklassen könnten tatsächlich übertrieben sein.

Zudem tobt auf den Leserbriefseiten der "Presse" seit Wochen ein regelrechter "Bellum Latinum" gegen den bildungspolitischen Aufbegehrer. Die Statistik beliefert Amon indes mit guten Argumenten für seine Verteidigung: 111 von österreichweit 160 Gymnasien haben mittlerweile der sechsjährigen Langform entsagt und sich im Schulversuch für Latein erst ab der 5. Klasse entschieden. Statt die "tote" Mutter aller romanischen Sprachen ab der 3. Klasse anzubieten, steht - dem Wunsch vieler Eltern folgend - zuerst Französisch am Programm.

Ist mit diesem Trend das generelle Aus für das sechsjährige Latein besiegelt - frei nach dem Motto "Schola locuta, causa finita"? Irmgard Kirk, Organisatorin der jährlichen Latein- und Griechischolympiaden in Wien, ist skeptisch: "Das Hauptkriterium dieser Entwicklung ist es, die Schülerzahlen wieder zu heben," meint die Latein- und Griechischprofessorin am Albertus- Magnus-Gymnasium in Wien. "Ob sich das aber in Zukunft bewahrheitet, wage ich zu bezweifeln. Es wird sicher kurzfristig stimmen, dass Französisch ab der 3. Klasse sehr attraktiv erscheint. Allerdings habe ich noch keine Evaluation gesehen, die zeigt, dass es tatsächlich dieses fließende Französisch bringt, das man sich erhofft." Die Kurzform von Latein lehnt sie aus grundsätzlichen Überlegungen ab: "Es ist eine Geisteshaltung, die wir mit Latein vermitteln, und eine Einsicht in Literatur und in Prozesse, die Europa geprägt haben. Das ist keine Fertigkeit, die man einem Schüler wie einen Schnellsiedekurs in Kochen anbieten kann."

Dass Latein eine solide Basis für romanische Sprachen bietet, scheint unbestritten. Wie segensreich es sich generell auf die Kompetenz zum Fremdsprachenlernen und das logische Denken der Schülerinnen und Schüler auswirkt, ist jedoch empirisch nur unbefriedigend belegt. "Auch wenn es dazu Studien gibt, sind sie nicht verlässlich," weiß John Rennison, Professor am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Wien. Der Grund dafür sei denkbar simpel: "Wie die Debatte über die Vor- oder Nachteile der Zweisprachigkeit in Kanada ist das verpolitisiert worden. Neutrales wissenschaftliches Arbeiten ist hier nicht möglich." Auch Kurt Smolak, Vorstand des Instituts für Klassische Philologie an der Universität Wien, gesteht dieses "absolute Manko" ein: "Eine seriöse Studie hat es noch nie gegeben." Eines sei jedoch zweifelsfrei der Fall: Dass Latein, mehr noch als Griechisch, jenes Fach sei, in dem allein noch Sprache reflektiert werde. "Im modernen Fremdsprachenunterricht ist das Kommunikative wichtiger als die Reflexion und die absolute Exaktheit", so Smolak.

Eine Exaktheit, auf die man später an der Universität ungern verzichtet - zumal in den Geisteswissenschaften. Umso heftiger plädiert der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler für die Beibehaltung von Latein als Studienvoraussetzung. Er ortet unter seinen Studierenden einen "eklatanten Unterschied" zwischen denjenigen, die Latein können, und jenen, die nicht über diese Kenntnis verfügen. "Die haben keine Ahnung von Begrifflichkeit. Germanistik ohne Latein ist unmöglich durchführbar, wenn man es ernsthaft betreibt." Anders lautet das Urteil von Wolfgang Schütz, Dekan der medizinischen Fakultät an der Universität Wien: "Für uns würde eine bloße Terminologie ausreichen. Das Latinum ist übertrieben und international nicht mehr die Regel."

Was im Lateinunterricht oftmals die Regel war, sollte gleichfalls Geschichte sein: seitenweises Auswendiglernen von Vokabeln, der Schüler-horror des Übertragens deutscher Sätze ins Lateinische oder stures Übersetzen von Texten ohne erhellende Erläuterungen des kulturhistorischen Kontextes. Von derlei Schrecknissen hat sich der moderne Lateinunterricht losgesagt. Am deutlichsten spiegelt sich der Paradigmenwechsel in den neuen Lehrbüchern wie dem "LUDUS" (Spiel) wider, erstellt von einem Wiener Autorenteam. Die Anforderungen an die Lateinlehrer sind jedenfalls hoch - noch höher freilich für jene, die es angesichts sinkender Schülerzahlen noch werden wollen. Neue Studienpläne mit mehr Fachdidaktik und Kulturgeschichte sollen die österreichweit rund 100 Studierenden der Klassischen Philologie (Latein und Griechisch) für den möglichen Einsatz in der Klasse rüsten.

Aus für Griechisch

Während die Mehrzahl der Latein-Studierenden noch mit einem Arbeitsplatz in der Schule rechnet, haben die Griechisch-Experten diese Option längst ad acta gelegt - mit gutem Grund: "Griechisch ist in der Schule existenziell rückläufig", weiß Anton Zwölfer, zuständig für die Fächer Latein und Griechisch im Bildungsministerium. "Vorarlberg war immer stark humanistisch orientiert. Zusammen mit dem Burgenland bietet man aber jetzt gar kein Griechisch mehr an." Auch in Oberösterreich ist Altgriechisch im Schwinden begriffen. So kommt etwa am Stiftsgymnasium Schlierbach mit dem Abgang des angestammten Griechischlehrers der humanistische Zweig zum erliegen. "In den letzten zwei Jahren haben sich keine Schüler mehr dafür gemeldet", erklärt Direktor P. Martin Spernbauer.

Gestorben ist Griechisch für die Schlierbacher freilich noch lange nicht. Schon einmal ist der Unterricht ausgelaufen - bis ein engagierter Lehrer dem traditionsreichen Fach neues Leben einhauchen konnte. Wie sagt doch der Lateiner: Fluctuat nec mergitur. Von den Wogen geschüttelt, wird es doch nicht untergehn.

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