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Verwirrung im Fremdsprachenunterricht

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Nicht wenige Mittelschüler, die wegen einer Übersiedlung ihrer Eltern oder aus anderen Gründen den Mittelschulort wechseln mußten, sehen sich in den ersten Wochen des neuen Schuljahres großen Schwierigkeiten gegenüber, wenn die verbindlichen Fremdsprachen ihrer letztbesuchten Lehranstalt in ihrer Auswahl oder Reihenfolge nicht zufällig mit jenen der neuen Mittelschule, wenn auch der gleichen Schultype, übereinstimmen. Eine empfindliche, oft jahrelang nachwirkende seelisch-geistige Belastung für den Schüler kann die unmittelbare Auswirkung eines solchen Wechsels sein. Dabei ließe er sich auf ein Mindestmaß erträglicher

Unannehmlichkeiten beschränken, wenn auf dem Gebiete des Fremdsprachenunterrichts an den österreichischen Mittelschulen nicht ein so verworrener Zustand herrschte.

Das Gymnasium X beginnt in der ersten Klasse mit Englisch und in der dritten mit Latein. Nach der plötzlichen Aufgabe des Englischen als verbindlicher Fremdsprache mit Abschluß der vierten Klasse führt es von der fünften Klasse an Griechisch als zweite Sprache. Das Gymnasium Y wiederum beginnt mit dem Unterricht im Lateinischen bereits in der ersten Klasse und jenem im Griechischen in der dritten, während die englische

Sprache neben andeten lebenden Fremdsprachen (Französisch, Russisch usw.) im Obergymnasium nur als Freigegenstand gelehrt wird.

An Realgymnasien wird das Mosaik des verbindlichen Fremdsprachenunterrichts noch bunter: so wird als erste verbindliche Fremdsprache entweder Englisch oder Französisch oder vielleicht auch Russisch, als zweite verbindliche Fremdsprache Latein gelehrt. Ist jedoch das Lateinische die erste verbindliche Sprache, dann folgt eine der drei übrigen oder auch eine andere als zweite.

An den wenigen noch existierenden Provinz r e a 1 s c h u 1 e n ist die Lage nicht einfacher: die eine Anstalt führt nach alter Tradition von der ersten Klasse an Französisch und von der fünften Klasse ab Englisch als zweite verbindliche Fremdsprache, eine zweite beginnt jedoch schon in der ersten Klasse mit Enqlisch und läßt Französisch erst von der fünften Klasse an folgen. Eine dritte wiederum beginnt wohl mit Englisch, lehrt aber, im Gegensatz zu ihrem Bildungsziel, einem reinen Utilitätsprinzip folgend, von“ der fünften Klasse an gar Latein als zweite verbindliche Fremdsprache.

Mit diesen Beispielen sind aber die Variationsmöglichkeiten keineswegs erschöpft!

Wie maßvoll und pädagogisch einsichtsvoll erscheint dagegen doch die „alte“, heute vielfach gelästerte österreichische Mittelschule! Um wieviel mehr nahm s;e auf Grundanliegen der gesamten Schülerschaft Rücksicht, wenn sie für die einzelnen Mittelschultypen (Gymnasium, Realgymnasium und Realschule) bei der Wahl der ersten Fremdsprache zum Wohle ihrer Schüler Einheitlichkeit wahrte und nur in der Wahl der zweiten verbindlichen Fremdsprache an Realgymnasien und Realschulen größere Freiheit walten ließ.

Heute dagegen scheint die Reihenfolge der unterrichteten verbindlichen Fremdsprachen vielfach nicht von gründlich überdachten pädagogisch-methodischen Erwägungen, sondern allzu oft von einem kurzsichtigen Utilitätsprinzip bestimmt, und dies zum Schaden einer gründlichen und gediegenen Sprach- und Denkschulung und gegen das ökonomische Wirtschaften mit der verfügbaren Unterrichtszeit.

Im früheren Gymnasium und Realgymnasium wurde im Einklang mit einem klaren Bildungsziel von der ersten bis zur achten Klasse Latein und in der Realschule Französisch gelehrt. Der Formen-

reichtum und das gdnz andere Sprach-denken im Lateinischen und Französischen zwangen den Lernenden in den grundlegenden Jahren der Untermittelschule tagtäglich in eine so strenge Zucht und Schulung nicht nur des sprachlichen, sondern auch des logischen Denkens, wie sie durch die Mathematik allein nicht bewältigt werden können. Gerade diese bedeutenden Charaktereigentümlichkeiten der beiden Sprachen verhalfen ihm in Verein mit dem Sprachunterricht im Deutschen erst zur vollen Festigung und sicheren Beherrschung der eigenen Muttersprache und befähigten ihn schließlich auf der breiten Grundlage dieser intensiven sprachlichen Schulung wie des verfügbaren Wortschatzes germanischer und romanischer Herkunft (Muttersprache, Latein oder Französisch) zu einer raschen und verständnisvolleren Erlernung der anderen europäischen Sprachen von Weltbedeutung. Nur so war es auch möglich, daß der frühere Realgymnasiast mit Latein als Grundlage und der frühere Realschüler mit Französich als Grundlage in sechs beziehungsweise in vier oder drei Schuljahren sich durchschnittlich dieselben umfangreichen Kenntnisse aus der englischen Sprache aneignen konnte, für deren Erwerbung heute im allgemeinen volle acht Mittelschuljahre verwendet, genauer: vergeudet, werden. Diese Argumentierung darf nicht als ein

Vorstoß für eine Zurückdrängung des Englischen innerhalb unserer Mittelschule betrachtet werden. Das Englische ist heute zur ersten Westsprache aufgerückt. Das ist eine unverrückbare Tatsache! Jedem österreichischen Mittelschüler muß und soll daher auch seine praktische Erlernung ermöglicht werden: dem Gymnasiasten, für den die humanistisch-sprachliche Ausbildung im Vordergrund steht, als dritte, dem Realgymnasiasten und Realschüler im allgemeinen als zweite verbindliche Fremdsprache, also ohne die heute vielfach übliche Zeitvergeudung und imSinnederGesamt-erziehung, die auf einer richtig aufgebauten Schulung und Formung der körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte des Schülers zu fußen hat.

Das Bundesministerium für Unterricht hat in den wenigen ihm unmittelbar unterstellten neu eingerichteten Bundeserziehungsanstalten einer methodisch richtigen Folge in den Fremdsprachen zum Durchbruch verholfen. Als oberste verantwortliche staatliche Körperschaft im österreichischen Schulwesen möge es seine Autorität und seinen Einfluß gebrauchen, daß auch an den übrigenM ittelschulen zum Heile der Schülerschaft und eines vollen Bil-dungs- und Erziehungserfolges der Weg für einen einheitlicheren Aufbau des Fremdsprachenunterrichts gebahnt werde.

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