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„Schwerter zu Pflügen“

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Schauplatz Potsdam, Pfingsten 1983: Friedensmarsch der „Neuen Deutschen Jugend“, der offiziellen Jugendorganisation der DDR. 50.000 Menschen, meist Jugendliche, haben sich am „Platz der Nationen“ versammelt und erwarten SED-Vorsitzenden Erich Honek- ker zur Schlußkundgebung:

Sie Sind von Schulen oder Betrieben eingeladen worden, und sie kommen nicht nur, um für den Frieden zu demonstrieren. Es gibt einen arbeitsfreien Tag und manchmal auch 10 Ost-Mark, auch jede Menge Rockkonzerte,

die zumeist nur auf Veranstaltungen der FDJ stattfinden dürfen.

Die Losungen sind, wie es auch der „Ost-Report“ (FS 1, 8. August) zeigte, vorkonzipiert: Seit „Frieden schaffen auch mit Waffen“ nur mehr in der Friedensplakat- Ausstellung in der U-Bahnstation Berlin-Alexanderplatz für Aufregung sorgt, wurde dieser Slogan von einem anderen, im Westen schon erprobten, abgelöst: Unter dem Transparent „Gegen NATO- Waffen Frieden schaffen“ präsentieren sich die „Kräfte des realen Sozialismus“ als die „Kräfte des Friedens“, Offiziere der Nationalen „Volksarmee“ (NVA) als „Friedenskämpfer“ und Honek- kers SED als die „größte Friedensbewegung“ überhaupt.

Plötzlich ändert sich dieses „friedliebende“ Bild schlagartig. Als sich ein junger Mann mit dem Schild „Schwerter zu Pflugscharen“ in die Menge der FDJ-Blau-

hemden drängt, wird er von Beamten des Staatssicherheitsdienstes („Stasi“) sofort verhaftet.

Die autonome Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“, die unter dem Schutz der evangelischen Kirche der DDR steht, schafft der kommunistischen Staatsmacht immer mehr Probleme. Sie tragen auf ihren Protestmärschen Plakate mit der Aufschrift „Frieden schaffen ohne Waffen“ voran, treten für die Abrüstung beider Machtblöcke ein und begründen ihre Haltung mit dem Bibelzitat Micha 4: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ .. _

Die „Schwerter-zu-Pflugscha- ren“-Bewegung wehrt sich schon seit den sechziger Jahren dagegen, den „Krieg zu lernen“, oder wie sie es nennt, gegen die „Militarisierung der Gesellschaft“. Unter dem Schutz der Kirche treten die Anhänger für einen „sozialen Friedensdienst“ für Wehrdienstverweigerer ein — und das in einem Staat, der folgende Sätze zur staatstragenden Doktrin erhoben hat: „Wer sich in Westdeutschland dem Kriegsdienst entzieht, schwächt die imperialistischen Kriegskräfte; wer sich aber unseren Verteidigungsmaßnahmen zu entziehen sucht, schwächt den Frieden.“

Zwar existiert ein Wehrersatzdienst - als „Bausoldat“ in der NVA - in der DDR, doch ist diese mit der Schädigung beruflichen .Fortkommens verbunden. Für

„Totalverweigerer“ gibt es nur Gefängnis.

Die Militarisierung der Gesellschaft fängt in der DDR schon sehr früh an. In allen zehn Klassen der „Polytechnischen Oberschule“, die jedes Kind besuchen muß, ist das Fach „Wehrunterricht“ zwingend vorgeschrieben. Im Turnunterricht wird „Exerzieren und Handgranatenwerfen“ gelehrt, mathematische Textaufgaben arbeiten nicht mit Geländevermessungen sondern mit „zwei feindlichen MG-Nestern, die ein Beobachter in einem Winkel von 130° sieht“.

Ab der achten Klasse kommen dann spezielle „wehrsportliche Übungen“ hinzu. Im Klartext heißt das „Einzel- und Mannschaftskampf, Kleinkaliberschießen und Orientierungsmarsch“.

Fanden Verhaftungen vorerst noch selten statt, so hat sich der Druck auf die autonome Friedensbewegung, die in den Augen der Staatsführung das Stadium ernstzunehmender Opposition erreicht hat, seit dem Vorjahr um ein Vielfaches verstärkt.

Anhänger müssen mit Schulverweis und Lehrstellenentzug rechnen, wenn sie trotz staatlichen Verbots den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ tragen, mit Verhören und Verhaftungen, wenn sie Friedensappelle unterschreiben, denn der Schutz der Kirche reicht nur begrenzt.

Seit Pfingsten dieses Jahres ließen sich die SED-Strategen etwas anderes einfallen, um die staatsunabhängige Friedensbewegung mundtot zu machen. Man schiebt sie, wie 1976 Wolf Biermann, in den Westen ab, so auch den Kopf der Jenaer Friedensgruppe, Roland Jahn: „Meine gewaltsame Abschiebung am 8. Juni war die Bankrotterklärung der DDR-Be- hörden, mit der sie ihre Hilflosigkeit und Unglaubwürdigkeit demonstrierten.“

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