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Wer hat das ahnen können ?
1938. Seit fünf Jahren ist Adolf Hitler deutscher Reichskanzler, schließen sich hinter politisch Andersdenkenden die Tore der Konzentrationslager. Seit mehr als zwei Jahren sind die Nürnberger Gesetze in Kraft.
1932. Hitler hat nicht einmal noch die Macht übernommen. Auf den eindeutigen Wahlsieg der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen im Juli folgt im November ein Rückschlag für die NSDAP. In Osterreich wird im Mai Engelbert Dollfuß Bundeskanzler. In diesem Jahr 1932 schreibt Alfred Missong, Vater des heutigen Direktors der Diplomatischen Akademie, unter dem Pseudonym Thomas Murner ein Buch: „Der Nazispiegel“.
Unter den Stimmen, die schon sehr früh den österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus artikuliert haben, nimmt Alfred Missong einen besonderen Platz ein. Weil er - 1902 in Höchst am Main geboren — in einer Zeit, in deren Bewußtsein Osterreich nicht nur für alle Parteien, sondern auch für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ein deutscher Staat war, mit dem österreichischen Nationsgedanken gegen den Zeitstrom ankämpfte — ein Patriotismus, der ihn mit August Maria Knoll, Ernst Karl Winter, Hans Karl Zeßner-Spitzenberg und Wilhelm Schmid verband.
„Der Nazispiegel“, 1932 bei Gsur in Wien erschienen, ist ein prophetisches Buch. Missong hat den Nationalsozialismus, seinen verheerenden und menschenverachtenden Ungeist durchschaut, hat ihn als Weltanschauung bekämpft.
Wer hat das ahnen können? Dieser Frage, nach 1938 bis heute millionenfach gestellt, raubt Mis-songs „Nazispiegel“ ihre Unschuld. Osterreich war gewarnt, das Ausland ebenso. Und trotzdem wußte selbst 1935 ein Win-ston Churchül noch nicht, was die Welt vom Nationalsozialismus und von Adolf Hitler zu halten habe?
Missongs Analyse der Gefahr Nationalsozialismus und seiner Rahmenbedingungen bildet den optischen Rahmen dieses FUR-CHE-Dossiers: Textzitate aus dem „Nazispiegel“ sind kursiv dokumentiert.
„Der Nazispiegel“ ist ein Dokument des österreichischen Widerstandes. Ein Dokument aber auch dafür, daß trügerische Illusionen schockierende Warnungen verdrängt haben.
Alfred Missong - im März 1938 von der Gestapo verhaftet, in „Schutzhaft“, im August 1938 zuerst in die Schweiz emigriert, später nach Jugoslawien, 1941 „per Schub“ nach Wien zurück, „wehrunwürdig“ und in der Widerstandsbewegung tätig, 1945 Mitbegründer der Volkspartei und Chefredakteur der „österreichischen Monatshefte“, nach 1950 als österreichischer Presseattache in Bonn, Bern und Rom wirkend, 1965 verstorben — paßt in kein gängiges Klischee der Zeitgeschichtsschreibung. Aber ohne Erinnerung an ihn ist das Kapitel „Österreich und der Nationalsozialismus“ nicht zu schreiben.
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