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Wie schädlich ist ein Vaterunser?

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Eine dänische Expertenkommission soll klären, ob ein Morgengebet „Verkündigung“ oder „Information“ ist Von ihrem Urteil wird abhängen, ob an Dänemarks öffentlichen Schulen weiterhin gebetet werden darf. Eine Gruppe von Eltern aus Marum im Nordseeland hat dagegen protestiert, daß ihre Kinder in der Schule „religiöser Beeinflussung“ ausgesetzt werden. Der Protest wird von den Massenmedien zu einer Debatte über „Gedankenfreiheit“ hochgespielt

In Marum - und vielen anderen dänischen Schulen - wird der Unterricht mit einem Morgenlied und einem Vaterunser eingeleitet. Es ist die Elternversammlung jeder Schule, die bestimmt, ob diese Tradition durchgeführt oder abgeschafft wird. Das ist die Lage heute. Sie scheint den Gegnern des Morgengebetes nicht ausreichend. Sie wollen das Verbot der religiösen Handlung durchsetzen und berufen sich auf das Volksschulgesetz: dort steht, daß in der Schule keine „Beeinflussung“ stattfinden darf, nur „Information“. Aus diesem Grund ist auch der konfessionelle Religionsunterricht, der früher ein Glaubensunterricht im Sinn der dänischen Volkskirche war, durch die informierende und „wertfreie Christentumskunde“ ersetzt worden. (Völlig unlogisch und dem Sinn des Gesetzes widersprechend dürfen allerdings Eltern ihre Kinder von diesem religionskundli-chen Unterricht abmelden; eine Bestimmung, die jeder rechtlichen Begründung entbehrt, da im Unterricht nur Wissen und nicht Haltung vermittelt werden darf.)

Die Frage, die Unterrichtsminister Ritt Bjerregaard den Experten gestellt hat, lautet also, ob ein Gebet als „Informationsvermittlung“ definiert werden kann - dann dürfte es bleiben -oder ob es „Verkündigimg“ ist. Dann muß es weg. Mit dieser Vereinfachung wollen sich freilich nicht alle Dänen zufriedengeben. „Das Religiöse ist ein Grundbedürfnis des Menschen“, meint etwa der bekannte Pfarrer und Schriftsteller Johannes Möllehaye, der den progressiven Theologen zugerechnet wird. „Daher muß das Gebet selbstverständlich auch seinen Platz im Unterricht haben.“

Doch davon wollen die Religionsgegner nichts wissen. „Schadet ein Vaterunser einem Kind?“ fragte eine Radioreporterin einen der Väter von Marum. Es schade vielleicht nicht, meinte er, aber er wolle sein Kind nicht mit Religion in Verbindung bringen. Und eine Mutter, die selbst Lehrerin ist, ergänzt, durch das Gebet werde ihrem Kind tropfenweise Religion eingeflößt - und das sei nicht mit „Demokratie und Gedankenfreiheit“ der Schule zu vereinbaren. Um die „Demokratie“ zu wahren, ruft man nach Verboten.Nicht die Mehrheit der Eltern soll nach ihrem Willen entscheiden (die Möglichkeit, nicht am Gebet teilzunehmen, bestand selbstverständlich immer), sondern eine kleine, laute Minderheit will bestimmen, was richtig ist. Daß Dänemarks Schulen - ob mit oder ohne Morgengebet - nicht gerade den Ruf haben, christliches Gedankengut zu vermitteln, sondern oft als marxistische Versuchsstätten angeprangert werden (zweifellos nicht immer zu Recht), steht auf einem anderen Blatt. Mit dem Wort „Gedankenfreiheit“ läßt sich gut manövrieren.

„Ein Verbot gegen das Morgengebet wäre ein Schlag ins Gesicht der über 90 Prozent von Dänemarks Bevölke-. rung, die Mitglieder der Volkskirche sind“, meint die „Christliche Volkspartei“. „Wir bekommen russische Zustände, wenn wir das Gebet verbieten. Die Haltung der Elternversammlung muß in den einzelnen Schulen entscheidend sein“, ergänzt der liberale Abgeordnete Bertel Haarder.

Was geschehen wird, wird die Zukunft weisen. Doch mit der Fragestellung an die Experten, die nichts anderes herausfinden sollen, als ob ein Gebet Verkündigung ist (wer sollte dem widersprechen?), ist die Entwicklung schon in eine bestimmte Richtung in Gang gesetzt Es wird wohl nicht lange dauern, ehe eine „Empfehlung“ an alle Schulen Dänemarks unterwegs sein wird, das Morgengebet einzustellen. Und nur wenige Elternversammlungen werden sich über diese Empfehlung hinwegsetzen.

„Es sind doch nur fünf bis zehn Prozent, denen das Morgengebet ein Dorn im Auge ist“, meinte ein Pfarrer zur laufenden Diskussion. Doch es sind diese fünf bis zehn Prozent, die die schweigende Mehrheit, die politische Debatte und somit das öffentliche Leben in Dänemark dominieren.

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