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Den Konsens mit den Bürgern gesucht

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Nichts gehe heute mehr, klagen viele Unternehmer. Überall legten sich Umweltschützer quer. Daß dies nicht so sein muß, zeigt folgendes Fallbeispiel.

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Nichts gehe heute mehr, klagen viele Unternehmer. Überall legten sich Umweltschützer quer. Daß dies nicht so sein muß, zeigt folgendes Fallbeispiel.

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Die Situation ist bekannt und fast schon ein Bitual: Ein Zementwerk entschließt sich auf der Suche nach Bationalisierungspo-tentialen zur Verbrennung alter Autoreifen. Damit soll der Energiebedarf im Haus gedeckt und Kosten gesenkt werden. Andernfalls drohen Kündigungen und die Gefährdung des Standorts. Lieferanten werden kontaktiert und die Vorbereitungen für das Genehmigungsverfahren bei der Bergbehörde getroffen. Je schneller, desto besser. Immerhin geht es um Arbeitsplätze und viel Geld. Doch man hat die Bechnung ohne die Anrainer gemacht: Bürgerinitiativen formieren sich und kündigen massiven Widerstand an. Noch dazu stellt sich ein Wiener Institut an die Seite der Bürger und stiftet mit wissenschaftlichen Gutachten und professioneller Polemik Mißtrauen unter Medien und Politik. Das Genehmigungsverfahren dauert Jahre, die Krisenkampagne verschlingt Unsummen. Ganz abgesehen vom nicht bezifferbaren Imageschaden.

So - oder so ähnlich - hat es sich vielerorts zugetragen, und so weit wäre es auch beinahe gekommen, als das Zementwerk Leube bei Gartenau (Salzburg) in den achtziger Jahren in die Müllverbrennung einsteigen wollte. Die Anrainer der benachbarten Gemeinden Grödig, Anif und Hallein hatten Wind von der Sache bekommen und schienen im Kampf gegen drohende Schadstoffemissionen zu allem bereit. Das Werk zog den Frieden vor und seine Pläne zurück. Erst 1996 wurde ein erneuter Anlauf unternommen.

Experten vermitteln

Diesmal entschloß man sich zu bedachtsamerem Vorgehen. Man kontaktierte das Ökologie-Institut in Wien, das sich unter anderem mit der Studie „Abfalleinsatz in der Zementindustrie” (1994) einen Namen als Kritiker der Müllverbrennung gemacht hatte. „Gerade durch diese Haltung genießen wir ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit”, vermutet Abfallexperte Tristan Jorde. Das anfangs vorsichtig-distanzierte gegenseitige Beschnüffeln führte schließlich dazu, daß Leube die kritischen Wissenschafter mit der Erstellung eines ökologischen Gutachtens für emissionsarme Kunststoffverbrennung beauftragte - und diese den

Auftrag annahmen. „Bedingung war, daß wir, auch was strenge Auflagen für die Verbrennung betrifft, seitens der Werksleitung auf großes Verständnis stießen”, so Jorde heute.

Doch Skepsis läßt sich auch mit Gutachten und Grenzwerten nicht ausräumen, geht es doch um Gesundheit und subjektive Lebensqualität. „Die Bürger haben nur dann das Gefühl der sachlichen Richtigkeit, wenn sie in EntScheidungsprozesse eingebunden sind”, meint Leube-Sprecher Albrecht Schall. Auf Vorschlag des Ökologie-Instituts wurde daher ein Bürgerbeirat aus Anrainern, Werksleitung und Betriebsrat installiert. Während mehrerer Monate fanden immer wieder teils hitzige Debatten statt. „Anfänglich skeptisch, zwei, drei mal zorngeladen, kurzfristig euphorisch und schließlich konsensual-konstruktiv” umreißt Jorde die Stimmung bei den Sitzungen. „Irgendwann hat die Werksleitung gemerkt, daß sich die Bürger mit Zahlenmaterial nicht zufriedengeben, und die Bürger sind draufge-kommen, daß Leube zu echten und transparenten Maßnahmen bereit ist.” Die Investitionen werden auf insgesamt 2,5 Millionen Schilling beziffert (ein Großteil davon für Gutachten, die für das amtliche Genehmigungsverfahren notwendig sind). Der Aufwand hat sich gelohnt, ist Schall überzeugt: „Dafür gibt es später weniger oder keine Einsprüche mehr. Ich glaube, daß das Verfahren beschleunigt worden ist.”

Nun liegt eine rechtsverbindliche Vereinbarung vor, die den Anrainern umfassende Kontrollrechte garantiert. So können beispielsweise die konsensual festgesetzen Emissionswerte jederzeit unangemeldet überprüft werden. Weiters erlegte sich das Werk ein „Dynamisierungsgebot” auf: Unabhängig von den Kosten muß auch in Zukunft die jeweils modernste Technik zur Schadstoffminderung eingesetzt werden. Während Zementwerke etwa im Schnitt 98 Milligramm Schwefeldioxid ausstoßen, bekennt sich Leube zu 50 mg

SO2 - angepeilt werden 20 mg. Geschäftsführer Budolf Zrost freut sich über die hohe Akzeptanz und spricht von einem „Sieg der Dialogbereitschaft”. Tristan Jorde will nun die Umweltmediation im UVP-Gesetz verankert wissen - als „Beweis, daß Ökologie, Anrainerrechte und Wirtschaft gut miteinander verträglich sind”.

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