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Rot-Weiß-Rot mit Sowjetstern
Sogar die kleinste anerkannte völkische Minderheit Jugoslawiens soll in Zukunft ihre eigene Nationalflagge hissen dürfen. Nur hunderttausende Deutsche, die als nicht existent angesehen werden — Strafe für Blitzkrieg“ und vierjährige Besetzung —, sollen dieser Großzügigkeit nicht teilhaft werden.
Es tauchen natürlich pikante Fragen auf, welche Nationalflagge sollen etwa Jugoslawiens 40.000 Wanderzigeuner und Bogenvirtuosen bei einer Fahnenparade hissen? Mit den Albanern ist es ebenfalls so eine Sache. Auf Grund der geplanten Bestimmungen würde die Flagge der albanischen Minderheit in Jugoslawien identisch mit der Nationalfahne der „gelben Albanier“ sein, die bekanntlich in Maos Kielwasser segeln. Die Juden werden voraussichtlich in Jugoslawien ebenfalls eine eigene Fahne zeigen dürfen, dessen ungeachtet, daß Belgrad die israelische Politik verurteilt
Die 15 Nationalitäten, die vorläufig vom eigenen Fahnenschmuck Gebrauch machen dürften, sind: Albaner, Bulgaren, Ungarn, Rumänen, Polen, Tschechen, Slowaken, Russen, Ruthenier, Italiener, Türken, Juden, Ukrainer, Griechen und österreicheT. Die Zigeuner wurden hier außer acht gelassen, da sie noch niemals einen Nationalstaat mit eigener Flagge gebildet haben.
Nach dem Vorschlag der jugoslawischen KP sollen alle Minoritäten-flaggen in der Mitte den fünfzackigen roten Stern Jugoslawiens tragen, umrahmt von einem schmalen goldenen Rand. Der Artikel 4 der Verfassung enthält genaue Bestimmungen über die jugoslawische Nationalflagge, die dreifarbig (blau—weißrot) ist. Demnach würden die Ungarn eine rot-weiß-grüne, die Italiener eine grün-weiß-rote, die Österreicher eine rot-weiß-rote Nationalfahne haben. Die russische Fahne dürfte etwas eintönig (rot In rot) aussehen. Der Flaggenverantwortliche in Belgrad ist der Parteisekretär ungarischer Abstammung, Laszlö Vargha. Er sagte, daß das neue Flaggengesetz nicht bloß deshalb akzeptiert wird, weil die von Bulgarien beeinflußten Mazedonier und die Albaner im Kossovogebiet im vergangenen Jahr demonstriert haben. Die erste Flaggendiskussion fand schon 1966
statt, nach der Säuberung des serbischen KP-Fanatikers Aleksandar Rankovic.
Im Laufe der Zeit wurde immer mehr präzisiert und umgrenzt, wann eigentlich die völkischen Gruppen ihre Nationalfahnen gebrauchen dürfen. Global hieß es ursprünglich: wann sie wünschten, aber nur in ihren Häusem Später wurde es so definiert, daß die Minderheiten ihre Flaggen auch an öffentlichen Gebäuden anbringen dürfen — jedoch nur in sogenannten „national gemischten Gebieten“. Man griff auf Lenin zurück, jedoch ohne Erwähnung seines
Namens. Demnach seien „national gemischte Territorien“ jene, wo mindestens fünf Prozent einer nationalen Minorität angehören. Der Versailler Friedensvertrag von 1919 war noch strenger, da dort von 20 Prozent die Rede war.
Es ist noch nicht klar, zu welchem Zeitpunkt das Flaggengesetz in Kraft treten wird. Es ist jedoch eine Tatsache, daß damit Jugoslawien ohne Zweifel der erste Staat der Erde sein wird, wo die zahlreichen völkischen Minderheiten ihre nationale Unabhängigkeit, Abstammung und Verschiedenheit so eklatant zur Schau tragen dürfen.
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