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,Von Antiamerikanismus keine Rede'

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„Furche“-Gespräch mit Cemal Orhan Fersoy Spitzenkandidat der Regierungspartei von Stambul

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„Furche“-Gespräch mit Cemal Orhan Fersoy Spitzenkandidat der Regierungspartei von Stambul

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FURCHE: Herr Abgeordneter, die Volkspartei hat sich als Wahlslogan die Worte Freiheit, Sicherheit und Fortschritt, auserkoren. Womit zieht Ihre Gerechtigkeitspartei in den Wahlskampf?

FERSOY: Die Adalet Partisi ist keine Klassen-, sondern eine Massenpartei, deren Hauptprogramm die Herbeiführung eines sozialen Ausgleiches vorsieht.

FURCHE: Die türkische Armee hat eine in einer Demokratie ungewöhnlich starke und unabhängige Stellung. Halten Sie diese Position der höheren Militärs nicht für unbequem, um nicht zu sagen, bedrohlich?

FERSOY: Nein. Die Armee, der nationale Faktor schlechthin, ist stets und wird auch in Zukunft für die Demokratie eintreten. Daher hat die Adalet bei der Armee große Sympathien und wird umgekehrt keine Änderung der Situation des Militärs anstreben.

FURCHE: Ihre Gegner werfen der Gerechtigkeitspartei vor, im Widerspruch zu Atatürks Ideen, den in den letzten Jahren wieder stärker auflebenden religiösen Sekten zuviel Toleranz entgegenzubringen.

FERSOY: Zum Unterschied von den Volksrepublikanern, die sich von Atatürks Gedankengut bereits weit nach links entfernt haben interpretieren wir den mit dem Kemalismus oft fast synonym verwendeten Laizismus dahingehend, daß eine unbedingte Religionsfreiheit zu gewähren ist. Wenn auch der Laizismus von anderen bekämpft wird, halten wir uns hierin an das US-amerikanische Vorbild. Religionsfreiheit wird nur dann gefährlich und von uns bekämpft, wenn sie zu politischen Zwecken mißbraucht wird.

FURCHE: Was würden Sie als die gravierendsten innenpolitischen Probleme der Türkei ansehen? FERSOY: Die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft sowie die Verbesserung des Bildungsstandards erachten wir als ebenso wichtig wie etwa die Forcierung der Industrialisierung und die Förderung des Fremdenverkehrs.

Der im vergangenen Jahr angelaufene zweite Fünfjahresplan sieht für diese Zwecke großzügige Investitionen vor. Die Mittel dafür sollen durch Volkskredite und Auslandshilfe aufgebracht werden.

FURCHE: Wir wissen, daß Sie von dem Ausdruck „Kurdenproblem" unangenehm berührt sein werden. Dennoch bitten wir Sie um eine Äußerung dazu.

FERSOY: Die Türkei kennt kein Kurdenproblem. Vielleicht andere

Staaten wie Iran, Irak, nicht aber die Türkei. Meines Wissens sind die Kurden mit der türkischen Regierung in jeder Beziehung zufrieden.

FURCHE: Wie beurteilen Sie die außenpolitische Situation nach den antiamerikanischen Demonstrationen in der Türkei und den noch latent anhaltenden Studentenunruhen?

FERSOY: Diese Ereignisse werden leider im Ausland oft überbewertet; die Lage ist vollkommen ungefährlich. Von Antiamerikanismus in der Türkei kann infolge der unbedingten NATO- Treue, in der auch die Volksrepublikaner mit uns einer Meinung sind, keine Rede sein.

• Cemal Fersoy, 46, war bis 1960 Mitglied der demokratischen Partei und trat als Gründer der Universitätsjugendbewegung und als erfolgreicher Advokat der Men- deres-Familie und ihres Vermögens hervor.

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