Die "Charta Oecumenica", die am Sonntag nach Ostern im Beisein von mehr als 100 Kirchenvertretern aus ganz Europa unterzeichnet wurde, soll ein neues Kapitel in den ökumenischen Beziehungen der Kirchen Europas eröffnen. Kritiker sehen in dem Dokument lediglich eine Auflistung von wohlmeinenden, aber unverbindlichen Absichtserklärungen. Die Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Oberin Christine Gleixner, spricht dagegen von einem "ehrlichen Dokument", das vorhandene Konflikte nicht verschleiert.
Positiv ist jedenfalls zu verzeichnen, dass die Kirchen das moderne Europa als gemeinsame Herausforderung entdeckt haben. Der Vorgang ist freilich nicht nur kirchenpolitisch, sondern auch theologisch höchst bemerkenswert: Zwar berufen sich die Kirchen für ihr Streben nach sichtbarer Einheit auf das Neue Testament und auf das gemeinsame Glaubensbekenntnis. Der eigentliche Motor ihrer Bemühungen um eine bessere Zusammenarbeit aber ist ganz offenkundig der europäische Integrationsprozess. Das wirft die Grundsatzfrage auf, wie weit der ökumenische Gedanke der Einheit tatsächlich der inneren Logik des Evangeliums folgt oder aber, wie immer schon in der Vergangenheit, der äußeren Logik politischer Umstände. Zielt die ökumenische Bewegung wirklich auf Einheit (unitas) oder nicht vielmehr auf Eintracht (concordia)?
Worum es den Kirchen vordringlich geht, sind vertrauensbildende Maßnahmen und eine strategische Partnerschaft. Die werden die Kirchen im künftigen Europa in der Tat bitter nötig haben. Im ersten Entwurf der Charta wurde noch vollmundig das ehrgeizige Ziel formuliert, die Kirchen wollten "Europa eine Seele geben". Heute liest sich das bescheidener: Man möchte "Europa mitgestalten". Wenn den Kirchen dies gelänge, wäre das schon viel.
Ulrich H. J. Körtner ist Professor für Syste-matische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
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