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Graz als Testfall für die Ökumene

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Freitag, 27. September, das Kulturhaus im steirischen Mürzzu-schlag: IJber 150 Frauen und Männer aus ganz Osterreich, aus den unterschiedlichen christlichen Kirchen kommen zusammen, um mehr über das Großereignis im Juni 1997 zu erfahren. Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) hat eingeladen, gekommen sind nicht nur Amts- und Würdenträger, gekommen sind auch Frauen und Männer aus unterschiedlichen sogenannten Basisbewegungen und Initiativen, die für das gesellschaftspolitische Engagement von Christen stehen, in den Bereichen Soziales, Ökologie und weltweite Verantwortung. Und schon in dieser Zusammensetzung, in diesem Aufeinandertreffen von (kirchlicher) Diplomatie in Sachen Ökumene und den oft recht direkten Anfragen, Wortmeldungen und Pausengesprächen wird deutlich, welche Spannung im Thema „Versöhnung" verborgen ist.

„Lieber mit dem Schmerz der Unversöhntheit leben, als mit schönen Worten zugekleisterten Positionen."

Ilse Beyer, evangelische Pfarrerin und Delegierte zur Versammlung in Graz, eröffnet den Reigen der kritischen Töne. Fast alle der insgesamt 24 österreictrischen Delegierten stellen sich im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung vor. Johannes Dantine, evangelischer Oberkirchenrat, plädiert für eine „ordentliche Theologie", das Wahrnehmen und Annehmen von Konflikten, der altkatholische Bischof Bernhard Heitz spricht von „Graz als Testfall", der Innsbrucker Universitätsprofessor und Jesuit Lothar Lies hofft auf die Klärung, wo es keine Versöhnung geben darf. Er spricht von einer neuen „Plausibilität im säkularen Kontext", wo Kirchen zeigen müßten, „da machen wir nicht mit, denn sonst ist die Heilsbotschaft nicht verständlich".

Von Verantwortung für den Osten Europas, von der Bedeutung des interreligiösen Gespräches, gerade mit Juden und Muslimen, wird geredet, von der politischen Dimension von Versöhnung und so weiter. Und immer wieder wird betont, „es darf keine vereinfachende Harmonisierung geben".

„Graz soll wirklich politisch sein", sagt Johann Weber, Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz und Delegierter bei der Versammlung. Doch er zeigt sich auch überzeugt, wie viele andere in dieser Vorbereitungstagung, daß es eigentlich um die Gottesfrage in dieser Welt geht, der sich die christlichen Kirchen neu zu stellen hätten.

Doch sind die Kirchen dazu überhaupt fähig und entschlossen? - Diese Frage steht (unausgesprochen) im Raum, als der evangelische Theologe Ulrich Körtner sein theologisches Grundsatzreferat hält. Denn einerseits besteht die Gefahr der Überschätzung was die Rolle der Kirchen als Friedensstifter in einem Europa betrifft, das sich erneut mit der Realität „Krieg" konfrontiert sieht. Andererseits stellt Körtner auch die Frage nach Auseinandersetzung mit den biblischen Grundlagen. „Wenn Graz nicht wirklich ein ökumenischer Flop werden soll, sind die Vorarbeiten auf theologischem Gebiet erheblich zu verstärken." Klare Worte gegen eine veramtete inhaltliche Auseinandersetzung, die sich auf das Auflisten von Bibelstellen zum Thema Versöhnung beschränkt. Ein Eindruck, den die auf europäischer Ebene von der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und dem Rat der Europäischen (katholischen) Bischofskonferenzen (CCEE) erarbeitete „Arbeitshilfe" erweckt.

Die Versöhnung durch und mit Gott ist die Voraussetzung für zwischenmenschliche Versöhnung, führt der Theologe aus. „Recht verstanden ist ein biblisch begründeter Begriff von Versöhnung gerade nicht, wie manche Kritiker befürchten, geeignet, den heute notwendigen Streit etwa um die Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit, Nationalismus und Rassismus, um die Fortsetzung der Anstrengungen im Umweltschutz oder um gerechten Ausgleich zwischen armen und reichen Ländern zu verdrängen." - Versöhnung wird durch die Worte „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" erst näher bestimmt, sagt Körtner.

Die Kirche hat den Auftrag, das Wort von der Versöhnung zu verkündigen, „so daß die bereits in Christus Wirklichkeit gewordene Versöhnung zwischen Gott und den Menschen präsent wird. Das Wort von der Versöhnung hat aber die Gestalt der Bitte und des Angebotes, nicht der moralischen Forderung. Die Kirche hat nicht Moral zu predigen, und sei es auch die Moral der Versöhnung, sondern die Versöhnungsbotschaft des Evangeliums, nämlich das Wort vom Kreuz."

In der Betrachtung der Texte des Apostels Paulus ist dieses „Wort vom Kreuz" für Körtner nicht Ausdruck eines „Sühnopfers". Denn es ist nicht so, „daß Gott, durch Christus mit den Menschen versöhnt wurde, sondern daß Gott selbst, der in Christus war, die Menschen mit sich versöhnt hat". Körtner spricht von Gott als „alleinigem Subjekt des Versöhnungsgeschehens", die Menschen sind die Empfangenden. „Paulus fordert daher nicht dazu auf, Gott durch Bußfertigkeit und Sühnleistungen gnädig zu stimmen, sondern bittet an Christi statt, daß gänzlich unverdiente Geschenk der Versöhnung anzunehmen."

Damit bekommt aber alles Handeln der Kirchen in dieser Welt erst die eigentliche Bedeutung, ist der Schluß von Körtner: „Darum besteht die Aufgabe der Kirchen vor allem darin, in Menschen die Gewißheit des eigenen Versöhntseins zu wecken, aus welcher der Mut zu zwischenmenschlichen Schritten der Versöhnung wachsen kann.

Versöhnung beginnt dort, wo Menschen in wechselseitigem Vertrauen den Mut gewinnen, bestehende Konflikte offen beim Namen zu nennen, und die Kraft finden, mit ungelösten Konflikten zu leben, ohne sich mit ihnen abzufinden. Das Wort von der Versöhnung zielt gerade nicht auf Konfliktvermeidung oder auf die Verdrängung und Verharmlosung von Konflikten, sondern auf deren Aufdeckung und Uberwindung. Eine erste ethische Konsequenz des biblischen Wortes von der Versöhnung ist daher AVahr-haftigkeit im Umgang mit Konflikten." Und spätestens hier wird deutlich, daß die Kirchen auch in ihren „Binnenkonflikten" - gleich ob „Kir-chenvolks-Begehren", „Homosexuellendebatte" oder „orthodoxe Primatsdiskussionen" - herausgefordert sind, die „richtigen" und „wahrhaftigen" Fragen zu stellen. Harmonisierung ist da wohl nicht angesagt.

„Graz entscheidet sich nach Graz", sind die Schlußworte von Christine Gleixner, römisch katholische Delegierte und stellvertretende Vorsitzende des ÖRKÖ. Die Kirchen müssen es schaffen, Graz zum Anstoß für eine grundsätzliche Neupositionierung zueinander und zur Welt zu machen.

Der Autor ist chefredakteur der Mitarbeiterzeitung der Erzdiözesse Wien ,,thema kirche".

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