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Bei den diesjährigen Reformgesprächen im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach stand die Frage im Vordergrund, wie die Bereiche der Daseinsvorsorge künftig finanziert und von wem sie erbracht werden sollen. Dieses Dossier entstand in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich. Redaktionelle Gestaltung: Claudia Feiertag

Ein Grünbuch der Europäischen Kommission beschäftigt sich mit den Bereichen der Daseinsvorsorge. Und bindet die Politik in weiten Teilen an die europäischen Wettbewerbsvorschriften.

In den Medien war kaum etwas davon zu lesen, die wenigsten EU-Bürger wissen etwas davon: Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit publizierte die Kommission der Europäischen Union im Vorjahr das "Grünbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse". Michael Holoubek, Vorstand des Institutes für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht an der Wiener Wirtschaftsuniversität, definiert diese Dienstleistungen, gemeinhin Daseinsvorsorge genannt, so: "In einem weiteren Sinn geht es um die staatliche Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Infrastrukturleistungen." Es geht also um Branchen wie Energie, Verkehr, Telekommunikation, Gesundheit, Bildung und Sozialleistungen.

Das Ziel des Grünbuches: eine politische Diskussion über die Frage, wie die Daseinsvorsorge definiert, gefördert, organisiert und finanziert und vor allem, durch wen sie erbracht werden soll - durch den Staat oder Privatunternehmen. In einer Zusammenfassung des Grünbuches steht, es berühre "die zentrale Frage, welche Rolle in einer Marktwirtschaft staatlichen Stellen zukommt, da diese einerseits das reibungslose Funktionieren des Marktes und die Einhaltung der Spielregeln durch alle Akteure sicherstellen und andererseits das öffentliche Interesse gewährleisten, insbesondere die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bürger und die Erhaltung von Kollektivgütern in Fällen, in denen der Markt dazu nicht in der Lage ist."

Dabei machte es einen großen Unterschied, ob es sich um Dienstleistungen von allgemeinem oder von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse handelt, beton Holoubek. Zwar ist in dem Grünbuch von diesem Unterschied die Rede, er wird darin jedoch nicht definiert. Orientiert an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei laut Holoubek eine Tätigkeit aber jedenfalls dann wirtschaftlich, wenn sie darin bestehe, Güter oder Dienstleistungen auf einem rechtlich aktuellen oder potenziellen Markt anzubieten.

Eingeschränkter Spielraum

Ist diese Voraussetzung gegeben, wird es eng für die politischen Entscheidungen. Denn auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind die Wettbewerbsregeln der EU anzuwenden. Aufträge müssen also ausgeschrieben und nach dem Bestbieterprinzip vergeben werden. Das Zugeständnis besonderer Rechte oder besonderen Schutzes an einen Leistungserbringer kann auf eine EU-Rechtsverletzung hinauslaufen, was im Einzelfall durch den Europäischen Gerichtshof festzustellen wäre.

Glaubt man zwei Ende Juni dieses Jahres von der Kommission veröffentlichten Erhebungen zur Verbraucherzufriedenheit mit der Daseinsvorsorge in der EU, wird diese Betonung des Wettbewerbsrechtes bestätigt. Die Verbraucher zeigten sich großteils mit Zugang und Qualität zufrieden, wünschen sich aber vor allem bei Telekommunikation über das Festnetz, Postdienstleistungen und Bahnfernreisen Kostensenkung und Qualitätssteigerung, die durch mehr Wettbewerb erreicht werden sollen. Allerdings herrscht gleichzeitig die Auffassung, die öffentliche Hand müsse weiterhin ein gewisses Maß an Verantwortung tragen und eine wesentliche Kontroll- und Regelungsfunktion übernehmen.

Auch das Grünbuch wird dieser Forderung gerecht, denn in ihm werden einige Verpflichtungen des Staates auch bei geöffneten Daseinsvorsorge-Märkten definiert: Die öffentliche Hand habe dafür zu sorgen, dass jeder Bürger jederzeit Zugang zu den betreffenden Leistungen habe und diese mit einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis kontinuierlich angeboten werden.

Primat der Politik

Dennoch gab es während des Konsultationsprozesses nach Erscheinen des Grünbuches mehr als 300 Stellungnahmen, fast 60 Prozent davon aus Österreich. Attac etwa sieht aufgrund der Andwendungen der Wettbewerbsregelung die politischen Spielräume und damit auch die Möglichkeit, durch Wahlentscheidungen der Bürger Einfluss zu nehmen, schwinden. Die österreichische Bundesarbeiterkammer fordert unter anderem das Primat der Politik im Bereich der Daseinsvorsorge, die Achtung des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes, die Ablehnung der Anwendung wettbewerbsorientierter Bestimmungen und vor allem keine weiteren sektorspezifischen Liberalisierungen.

Genau die hat die Kommission jedoch als Resultat des Konsultationsprozesses angekündigt: Sie werde vorläufig davon absehen, eine allgemeine Richtlinie zur Daseinsvorsorge vorzuschlagen, jedoch den bisherigen Ansatz verfolgen und weitere sektorspezifische Regeln anregen.

Das, meint der steirische Zivilrechtsjurist und ehemalige ÖVP-Politiker Bernd Schilcher im Rahmen des Forums Alpbach, sei jedoch genau das Falsche. Das Prinzip des Gemeinswohls sei schon immer gleichberechtigt neben Wettbewerb, Binnenmarkt und Grundfreiheiten gestanden. "Es gibt keinen Grund, die Prinzipien der Gemeinwohlorientierung auf bestimmte Sektoren zu beschränken, außer dem, dass die EU nur sektoral denkt, weil sie nur sektorale Kompetenzen hat. Das ist mir zu wenig Grund." Nicht ein Wust von Gesetzen sei das Mittel der Wahl, vielmehr solle die EU von einer freien zu einer sozial gebundenen Marktwirtschaft entwickelt werden. Dann sei auch Platz für notwendige Förderungen im Sinne sozialer Abfederungen, die vielleicht nicht immer dem Wettbewerbsrecht entsprächen.

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