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In seinem Vortrag in Alpbach plädierte der ehemalige SPD-Politiker oskar lafontaine dafür, die Frage "Privat oder Staat?" nicht ideologisch, sondern rein pragmatisch zu beantworten.

Mein Reformvorschlag für die Sozialsysteme in Europa: Wir müssen endlich in Europa einen Sozialstaat schaffen, den haben wir nämlich bisher nicht. Was ist denn der Sozialstaat? Ich rede jetzt einmal von Kerneuropa, anders ist das in Schweden und in Dänemark. Bismarck hat die Sozialsysteme in Kerneuropa geprägt. Er hat aber keinen Sozialstaat geschaffen, sondern Arbeitnehmerunterstützungkassen. Das heißt, für Unfall, Renten, Krankenvorsorge, Arbeitslosigkeit zahlen die Arbeitnehmer in eine gemeinsame Kasse, um dann im jeweiligen Fall die Unterstützung zu haben. Die Beamten, die Selbstständigen, die Wohlhabenden sind ex definitione aus diesem System ausgeschlossen.

Einer für alle, alle für einen

Das ist dann aber kein Sozialstaat, wenn man sich einig ist, dass sozial heißt, dass alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zum Funktionieren dieser gesellschaftlichen Systeme beitragen. Dann muss man Sozialsysteme befürworten wie in der Schweiz. Dort haben die Liberalen die Rentenversicherung eingeführt, die auf folgendem Prinzip fußt: Alle, die ein Einkommen haben, zahlen in die Rentenkasse ein. Es gibt eine Mindest- und eine Höchstrente, der Rest läuft privat.

Wenn ich über Deregulierung und Privatisierung und die Aufgabe der Nationalstaaten spreche, dann geht es auch um die Fragen: Wie ist das mit der Daseinsvorsorge, mit Strom, Gas, Wasser und so weiter? Wir sind uns einig, der Staat hat eine gewisse Erfüllungsverantwortung, er hat eine Gewährleistungspflicht, denn ohne Strom wird keine Volkswirtschaft, ohne Wasserversorgung wird kein Gemeinwesen funktionieren.

Deshalb ist es nicht in erster Linie die Frage, ob etwas privat oder öffentlich ist. Die Frage ist zunächst, wie man die Versorgung sicherstellen, wie man sie zu stabilen Preisen sicherstellen und wie man sie gewährleisten kann. Deshalb ist das Spannungsverhältnis der Regulierung oder Nichtregulierung auch nicht so ohne weiteres an Einzelmodellen auszumachen. Denn es kann sehr wohl sein, dass bestimmte Dinge privatwirtschaftlich organisiert sind, dass aber starke Regulierungsvorschriften privatwirtschaftliche Aktivitäten bestimmen. Diese Regulierungsvorschriften stellen sicher, dass bestimmte Spielregeln beachtet werden und dass immer genügend Anbieter zur Verfügung stehen. Letztendlich entscheidet die Qualität und das Preisangebot für die Bevölkerung. Und da gibt es weder mit dem einen noch mit dem anderen System nur eindeutige Ergebnisse.

Keine britischen Zustände

Es wird zum Beispiel niemand behaupten, dass in Großbritannien die Privatisierung der Eisenbahn zu optimalen Ergebnissen geführt hat. In Deutschland gibt es auch niemanden, den ich kenne, der sagt, die Privatisierung des englischen Gesundheitssystems habe zu optimalen Ergebnissen geführt. Wenn wir hören, dass Notfalloperationen monatelang aufgeschoben werden, möchten wir in Deutschland eine solche Privatisierung des Gesundheitssystems nicht.

Oder das Bildungssystem: Wem ist denn gedient, wenn es einige hervorragende Universitäten und Privatschulen gibt, wenn aber in der Breite der Ausbildung nicht ausreichend Nachwuchs vorhanden ist. Deswegen setze ich eher auf eine solide staatlich finanzierte Bildung als auf Glanzlichter, die privat finanziert sind, bei denen die staatliche Bildung vernachlässigt ist.

Die italienischen Kommunisten haben früher einmal gesagt: "Für uns ist klar, Speiseeis muss nicht staatlich produziert sein." So einfach ist die Antwort nicht. Auch bei den großen Dienstleistungen gibt es immer wieder Bereiche, die vielleicht privatwirtschaftlich besser erledigt werden können. Aber es muss immer eine staatliche Regulierung und Kontrolle da sein. Und - das gilt vor allem für die Dritte Welt - es darf nicht so sein, dass ein privates das ehemalige staatliche Monopol ersetzt. Was wir da erlebt haben in einigen Ländern vor allem in Afrika und Südamerika mit der Wasser- und Energieversorung, das ist nicht Deregulierung, da ist ein Monopol zum anderen gegeben worden. Eine Privatisierung, die niemals im Interesse der Bevölkerung sein kann und dann auch konsequenterweise von den Leuten von Attac und ähnlichen Organisationen kritisiert worden ist, weil diese Form der Globalisierung nicht die Globalisierung ist, die wir befürworten können.

Einfache Überlegungen

Welche Aufgaben der Staat hat und welche nicht, und wie er sie organisiert, ist von einfachen Überlegungen aus zu beantworten. Jeder wird zustimmen, dass ein Staat die Wasserversorgung sicherstellen muss. Wenn er so reguliert, dass darunter Spielraum für Private ist, meinetwegen, obwohl ich selber dazu neige, diese Wasserversorgung überwiegend in öffentlicher Regie haben zu wollen. Wenn ein Staat bei der Stromversorgung eine ganze Reihe von Anbietern und Wettbewerbern hat, sind wir in einer anderen Situation als früher, als die kommunale Energieversorung Eigenhersteller war und die eigene Produktion abgesetzt hat. Auch hier: Keine ideologische Debatte nach dem Motto "Privat ist das beste, Staat das schlechteste". Man muss sich das immer genau ansehen, dann kommt man zu vernünftigen Ergebnissen.

Ein Mix bringt Ordnung

Manchmal ist ein ordentlicher Mix zwischen privater und öffentlicher Aktivität die richtige Antwort. Ich glaube, hier führt das Ergebnis zu einer vernünftigen Zukunftsgestaltung, nicht sosehr eine Fixierung auf das eine oder das andere. Im Übrigen verweise ich darauf, dass die Frage Regulierung und staatlicher Ordnungsrahmen auf der einen Seite und freier Markt und Deregulierung auf der anderen Seite von den Klassikern der neoliberalen Freiburger Schule in Deutschland immer eindeutig beantwortet worden ist. Sie hat ihre Schriften unter dem Titel "Ordnung" veröffentlicht. Ordnung hieß für sie immer, ein ordentlicher Dualismus um freien Markt und staatliche Rahmensetzung.

Ich bin der Meinung, dass es einen ganzen Bereich der Weltwirtschaft gibt, wo wir eine stärkere Regulierung brauchen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass manchmal die Bürokratisierung viel zu weitgehend ist und dass manchmal die Regulierungen zu stark sind. Es bedarf immer der konkreten Antwort auf konkrete Fragestellungen.

Zur Person

Oskar Lafontaine, 1943 im deutschen Saarland geboren, trat 1966 nach seinem Physikstudium in die SPD ein. Er war bald Vorstandsmitglied der Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft der Landeshauptstadt Saarbrücken, danach SPDAbgeordneter im Saarländischen Landtag. Von 1976 bis 1985 war er Oberbürgermeister von Saarbrücken und übernahm den Landesvorsitz der Partei.1985 wurde er Ministerpräsident des Saarlandes und war im Jahr 1990 Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl. Von 1992 bis 1993 bekleidete er die Position des Bundestagspräsidenten, später wurde er SPD-Bundesvorsitzender. 1998 war er Finanzminister, legte aber im Jahr 1999 überraschend alle Ämter zurück.

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