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Achtung, Staatsgrenze!

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Es mag erstaunlich klingen: Freizeitgestaltung, Umweltschutz, Stadtplanung, soziale Vorsorge, Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und Mitbestimmung haben einen ganz bestimmten gemeinsamen Nenner. Es geht um die wirklich entscheidende Frage: Sollen die Problemejdort gelöst, sollen die Bedürfnisse dort befriedigt werden, wo sie entstehen? Oder sollen sich der einzelne Mensch und die kleinere Gemeinschaft immer mehr durch die übergeordneten Instanzen von den ihnen lästig erscheinenden Aufgaben und Pflichten dispensieren lassen? Mehr Mensch oder mehr Staat und Bürokratie?

Mit ihrer Warnung vor der Taschengeld-Gesellschaft, in der jeder Bürger seinen Gehalt zu 100 Prozent in die Staatskasse einbringt und nur hin und wieder ein kleines Handgeld für die Bezahlung der vom Staat nicht erbrachten Leistungen erhält, hat die britische Konservativen-Führerin Margaret Thatcher eine erschreckende Vision aufgezeigt. Auch der Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, hat anhand der Neuen Sozialen Frage nachgewiesen, daß in sehr vielen Bereichen der modernen und vor allem zukünftigen Gesellschaft an den Staat verlorengegangenes Terrain durch die Familien und durch die kleineren Gemeinschaften zurückerobert werden muß.

Das Warnschild, tlas angesichts des überforderten Staatshaushaltes die übergeordneten Bürokratien an ihre ureigensten Aufgaben erinnern soll, wird auch unter Österreichs Sozialisten (manchmal von Hannes Androsch, öfter von Egon Matzner) herumgereicht. Seine Aufschrift: Achtung, Staatsgrenze!

Seit Jahren weist die österreichische Volkspartei auf den Umstand hin, daß der Staat in mehreren Bereichen seine eigenen Grenzen längst überschritten hat, wobei sich der kommende FPÖ-Chef Alexander Götz, freilich mehr vom liberalen Gedankengut beflügelt, einer ähnlichen Argumentation verschrieben hat: Die Entstaatlichungs-Diskussion hat zum einen eine recht pragmatische Wurzel: Jede Machtzusammenballung im staatlichen Bereich ist zumindest momentan eine solche im Schöße der Sozialisten. Gravierender wiegt aber in diesem Zusammenhang das letztlich aus der katholischen Soziallehre kommende Subsidiaritätsprinzip: Demnach vertreten die meisten christdemokratischen oder konservativen Parteien die Ansicht, daß nur jene Aufgaben und Dienstleistungen, die die Familie oder sonst eine kleine Gemeinschaft nicht zu erfüllen in der Lage sind, an die nächst höheren (geeigneteren) Instanzen delegiert werden dürfen.

Unter dem nicht besonders zutreffenden Stichwort „Reprivatisierung“ kam die Debatte ins Rollen und teilweise in Mißkredit: Man schien die Debatte von einem fast ausschließlich ökonomischen Standpunkt aus zu begreifen.

Nun hat sich die Argumentation etwas gewandelt: „Eigeninitiative statt Bürokratie“ lautet die Devise einer Enquete der Kommunalpolitischen Vereinigung der ö VP in dieser Woche. Es geht nicht darum, der Gemeinde oder dem Bund einen Aufgabenbereich wegzunehmen, damit ein Privater Gewinne machen kann, nicht darum, rote Einflußbereiche zu schmälern, sondern schlicht und einfach darum, einzelne Aufgaben, die nur von Fall zu Fall bestimmt werden können, besser und fortschrittlicher zu lösen.

Die konkreten Beispiele sprechen für sich:

Da gibt es eine Regionalplanungs-gemeinschaft Bregenzerwald, zu der sich eine Reihe von Gemeinden zusammengeschlossen haben, um gemeinsame übergemeindliche Probleme - von der Altenbetreuung über den infrastrukturellen Ausbau bis zur Ortsbildpflege - zu lösen: Besser als es das Land oder der Bund könnten.

Die Stadtgemeinde Grieskirchen hat sich zur Vergabe der Müllabfuhr an einen privaten Unternehmer entschlossen: Der Personalaufwand der Gemeinde ist besonders niedrig, die Müllabfuhr besser und billiger.

Ähnliche Argumente gelten für die Organisation von landwirtschaftlichen Maschinenringen, für die private Errichtung von Kinderspielplätzen, für die Ortsbildpflege und Altstadtbelebung, ja praktisch für jede von initiativen Bürgern wahrgenommene Aufgabe. Vor allem im sozialen Bereich können Isolation und Anonymität nicht allein durch quantitative Maßnahmen überwunden werden. Es genügt bestimmt nicht, den immer komplexer werdenden sozialen Herausforderungen einfach durah Erhöhung der Beiträge für die Sozialversicherung zu begegnen. Das wäre genauso verhängnisvoll, wie zu glauben, einer ständig steigenden Selbstmordrate durch den Ausbau der Friedhöfe Einhalt gebieten zu können, meint Johannes Hawlik von der Kommunalpolitischen Vereinigung sarkastisch.

Die Zeit, in der man noch glaubte, alle auftauchenden Probleme durch ein entsprechendes Gesetz oder eine sonstige staatliche Maßnahme lösen zu können, ist eben vorbei. Nicht nur, weil jedes neue Gesetz gleich drei neue Beamten-Heere aus dem Boden schießen läßt (eines, das das Gesetz austüftelt, ein zweites, weichet das Gesetz durchführt, ein drittes, bei dem man sich über das Nichtfunktionieren des Gesetzes beschweren kann). Vor allem aber, weil die bürgernahe Erledigung eines Problems eine ungeheure emotionale Seite hat: Schließlich hat die als üppig verschrieene heimische Küche gegenüber einer chemischen Ernährung durch irgendwelche Pillen auch gewisse Vorzüge ...

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