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Das Ende einer makabren Oesckickte

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Während der Wiener Festwochen 1954 soll am 5. Juni nach 145 Jahren endgültig die Ueberführung von Haydns Schädel, der sich seit 1885 im Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befindet, unter feierlichen Zeremonien nach Eisenstadt erfolgen, wo die sterblichen Ueberreste des Komponisten bestattet sind.

Durch die Ueberführung des Schädels Joseph Haydns und durch seine feierliche Beisetzung zu den übrigen Gebeinen des großen Tondichters in der schönen Bergkirche in Eisenstadt wird eine alte Grabschändung — wohl zur Befriedigung aller Kreise, die darum wußten — wieder gutgemacht. Joseph Haydn kommt endlich nach 145 Jahren zu seiner Grabesruhe.

Vorträge, die der Badener Arzt und Phrenologe Josef Gall über seine Schädellehre 1796 in Wien begann, waren der Anlaß für einen der berühmtesten Schädelraube. Wurden auch Galls Vorträge bald polizeilich verboten, so durften sie doch dann wieder vor einem kleinen Kreis unter Ausschluß des breiten Publikums stattfinden.

Ein Schüler Galls, Johann Peter, Verwalter des k. k. niederösterreichischen Provinzialstrafhauses, bekennt in seinem Testament, daß er zusammen mit dem fürstlich-esterhäzyschen Sekretär Josef Karl Rosenbaum, mit dem ersten Amtsoffizier in Wiener städtischen Unterkammeramt, Ignaz U 11 m a n n, und dem Taxator im Magistratstaxamt, Michael Jungmann, acht Tage nach dem Begräbnis Joseph Haydns 1. Juni 1809 nächtens auf dem Hundsturmer Friedhof dem heutigen Haydn-Park nach Bestechung des Totengräbers Jakob Demut das Grab der bekannten Schauspielerin Betty Rose und das des berühmten Musikers geöffnet habe. Die Köpfe der beiden „Begabten“ wurden von den Körpern der Leichname losgelöst, mitgenommen und im Garten Peters in der Leopoldstadt präpariert. Sie sollten einer Erhärtung der Gälischen Schädellehre dienen. Statt die Raubstücke aber wenigstens wieder auf den Friedhof zurückzubringeh, behielt sie bis zum Jahre 1820 Rosenbaum in Verwahrung. Für Haydns Schädel wurde ein schwarz poli- tiertes, mit einer Lyra geziertes Kästchen in Form eines römischen Sarkophags angefertigt, in dem die Reliquie auf einem Kissen ruhend verwahrt war.

Im Jahre 1820 veranstaltete Fürst Esterhazy, dessen Hofkapellmeister Haydn viele Jahre gewesen war, in seinem Schlosse zu Eisenstadt ein Fest zu Ehren des Herzogs von Cambridge, das seinen Höhepunkt in einer Aufführung von Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ fand. Der Gast sprach damals die Worte: „Wie glücklich war der Mann, der Haydn im Leben besessen hat und noch im Besitze seiner Reste ist!“ Esterhazy beschloß daraufhin, die Gebeine Haydns von Wien nach Eisenstadt, an den Ort des vieljährigen Wirkens des großen Künstlers, überführen zu lassen. Bei der Exhumierung in Gegenwart des Fürsten wurde einwandfrei festgestellt, daß das Grab durch einen bewußt ausgeführten Schädelraub geschändet worden war. Sogleich verlangte der empörte Fürst von dem damaligen Polizei-direkter Graf Sedlnitzky die Ermittlung und Bestrafung der Täter.

Ein Täuschungsmanöver der Schädelräuber praktizierte durch den Kaplan Philipp Frankl einen falschen Schädel in Haydns Sarg in Eisenstadt. Auf seinem Sterbelager übergab endlich der Hauptschuldige Rosenbaum den echten Haydn-Schädel an Peter mit dem Auftrag, ihn der Gesellschaft : der Musikfreunde zu übermitteln. Dies geschah aber vorläufig nicht. Die Witwe : des 1839 gestorbenen Peter befürchtete wegen des Schädels eine polizeiliche Beanstandung, und dadurch kam es zu einem ganz merkwürdigen Besitzwechsel. Die Witwe Peter übergab den Schädel ihrem Hausarzt Doktor Karl Haller, der ihn nach Eisenstadt sen- ; den sollte, damit er statt des falschen in . Haydns Grab gelange. Aber auch Haller befolgte den Auftrag nicht, sondern widmete die Reliquie dem anatomischen Museum des berühmten Wiener Universitäts- . professors Rokitansky. Dessen Nachfolger, Professor Kundrat, übergab den Haydn- Schädel in der Meinung, dieser sei Privateigentum Rokitanskys gewesen, dessen Söhnen. Diese widmeten ihn endlich 1895 der Gesellschaft der Musikfreunde, zugleich mit einer darauf bezüglichen Erklärung Peters vom 21. Juni 1832, einer zu Ehren Haydns 1809 geprägten Medaille, einer Biographie Haydns aus demselben Jahr und einer Erstausgabe der Partitur der „Schöpfung“. Viele Jahre war die Haydn-Reliquie im Museum der Gesellschaft der Musikfreunde ein besonderer Anziehungspunkt, wohl etwas zweifelhafter Art, für Fremde und Einheimische.

Die Echtheit des Schädels ist erwiesen. Begreifliche Zweifel daran wurden 1909 anläßlich der großen Wiener Haydn-Zentenarfeier durch eine genaueste Untersuchung , seitens des bekannten Wiener Anatomen Prof. Julius Tandler restlos beseitigt, der nach vergleichenden Messungen am Schädel und an der Totenmaske in einem Vortrag vor der Wiener Anthropologischen Gesellschaft darüber berichtete. Der Veröffentlichung des Vortrages in den Mitteilungen der Gesellschaft sind nicht weniger als 19 photographische Aufnahmen der Untersuchungsobjekte in Gegeneinander- und Uebereinanderstellung beigefügt.

Die Totenmaske Haydns, von Haydns Kopisten und Faktotum Johann Elßler, dem Vater der berühmten Fanny Elßler, auf Veranlassung des Malers Dies abgenommen, sollte auch bei anderer Gelegenheit eine bedeutsame Rolle spielen. Der heute ziemlich vergessene Bildhauer Heinrich Natter, der Schöpfer des Haydn-Denkmals vor der Mariahilferkirche in Wien, hatte bei den Vorarbeiten für seine „Kolossalplastik“ schon alles irgendwie erreichbare Material über Haydns Aussehen zusammengetragen, als er durch die Nachricht beglückt wurde, es sei eine Totenmaske des Künstlers ausfindig gemacht worden. Fräulein Fanny S c h ä f f e 1, die Nichte Fanny Elßlers, hatte sie für ihre Tante in Verwahrung und stellte sie Natter bereitwillig zur Verfügung. Später goß der berühmte Bildhauer Fernkorn einige Kopien davon ab. Eine von diesen kam 1887 in den Besitz des Historischen Museums der Stadt Wien und diente Prof. Tandler bei seiner endgültigen Lösung der Frage nach der Echtheit des Haydn-Schädels.

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