"Jede Zeit braucht ihren Ring"

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Die Neuinszenierung von Wagners Monumentalzyklus an der Staatsoper ist erst die dritte seit 1945 - und zwischen Philosophie und "epischem Kammerspiel" angesiedelt.

Richard Wagners "Ring des Nibelungen" ist ein von Philosophie durchdrungenes Werk. Dass sich im "Ring" nicht nur Gedanken von Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer und Ludwig Feuerbach niedergeschlagen haben, sondern auch zwei diesen geradezu entgegengesetzte geistige Strömungen, darauf wies der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann kürzlich bei einer Sonntagsmatinee in der Wiener Staatsoper hin. Für die Romantik und den deutschen Idealismus hatten die drei genannten Denker wenig übrig, und die Romantik, zumindest in der Musik, war Wagners erklärtes Feindbild.

Doch die von Wagner realisierte Schöpfung einer neuen Mythologie sei eine durch und durch romantische Idee und des Komponisten Programm des Gesamtkunstwerks gehe auf den Idealisten Georg Wilhelm Friedrich Hegel zurück, analysierte Liessmann bei einer jener Veranstaltungen, die wie ein Vorbeben dem im Haus am Ring bevorstehenden Musiktheater-Großereignis vorangingen: der Neuinszenierung des "Ring des Nibelungen". Diesen Sonntag geht es mit der "Walküre" los. Binnen eineinhalb Jahren folgen "Siegfried", "Götterdämmerung" und "Das Rheingold".

Unwahrscheinlich, dass Liessmanns Gedanken in die Neuinszenierung des "Rings" an der Staatsoper einfließen werden. Regisseur Sven-Eric Bechtolf nämlich sieht den "Ring des Nibelungen" als "episches Kammerspiel", das sich vor allem in den zwischenmenschlichen Konflikten abspiele. Die Figuren betrachtet Bechtolf als moderne Zeitgenossen, dennoch werde er die Aufführung "nicht mit allen möglichen Accessoires zumüllen, die Heutigkeit vortäuschen". Bechtolf möchte dem Publikum auch Raum für eigene Interpretationen lassen: "Als Regisseur darf man nicht dem Reflex gehorchen, den, Ring' ununterbrochen zu kommentieren. Man muss nicht immer alles entschlüsseln, erhellen und erklären. Es wäre schön, wenn die Zuschauer Lust bekämen, über sich und den Menschen nachzudenken, ohne dass man sie dazu mit dem Nudelholz gezwungen hätte."

"Ob großes Welttheater, leidenschaftliches Seelendrama, sozialrevolutionäre Utopie oder Mythos - jede Zeit braucht ihren eigenen, Ring'", ist Staatsoperndirektor Ioan Holender überzeugt. Die 15 Jahre alte Inszenierung von Adolf Dresen habe ihre Gültigkeit verloren, jede Epoche müsse anders herangehen an dieses "größte Unternehmen, das jemals für die Opernbühne erdacht wurde".

Der neue "Ring" ist erst die dritte Neuinszenierung der Tetralogie an der Wiener Staatsoper seit 1945. Die erste entstand 1957 unter der künstlerischen Gesamtleitung Herbert von Karajans. Die 1980er Jahre sind dem Wiener Opernpublikum als "Ringlose Zeit" in schlechter Erinnerung. Damals wurde ein "Ring" nach zwei Premieren abgebrochen, weil die Regie, wie es offiziell heißt, "alle ästhetischen Innovationen der letzten 80 Jahre zu ignorieren schien".

Franz Welser-Möst, der den neuen "Ring" dirigieren wird, nähert sich nach eigener Aussage den Opern Wagners zuerst über den Text, erst dann beschäftigt er sich mit der Musik: "Man muss Wagners Operntexte musikalisch und seine Musik dichterisch verstehen." Ihn reize an der Tetralogie die Poesie, die sich noch im kleinsten Takt wiederfinde, aber auch Wagners ausgefeilte Deutung der Tonarten, in der sich die Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts widerspiegle - womit wir wieder bei der Philosophie wären.

Die unterschiedlichen Tonarten hatten von der Musik des Barock bis zur Wiener Klassik ganz bestimmte, oft mit christlichen Inhalten verbundene Bedeutungen. Mit der Aufklärung wurde dieses Deutungsmodell suspekt. Die Tonart h-Moll zu Beispiel, siehe Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe, stand einst für die Selbsterniedrigung Gottes.

Wagner spielte mit der alten Lesart, um die von ihm geschaffene Mythologie zu positionieren: Der dritte Akt der "Walküre", der berühmte "Walkürenritt", beginnt in h-Moll. Die neuen Götter streben also in genau jener Tonart empor, in der bei Bach der aus Wagners Sicht (und der Sicht von Nietzsche und Feuerbach) überkommene christliche Gott zugrunde geht.

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