Wirklichkeit, erzählt und gerettet

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Rosemarie Schulak protokolliert Vergessenes aus der Zeitgeschichte des Waldviertels.

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Rosemarie Schulak protokolliert Vergessenes aus der Zeitgeschichte des Waldviertels.

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Die einen haben den Vorzug, auf goldenen Stühlen" zu sitzen. Ihre Namen, Taten, Untaten auch, leben jahrtausendelang in Sagen, Märchen und Mythen fort. Die anderen gehen unter. Und doch: Wie wichtig wäre es, gerade von ihnen viel mehr zu wissen.

Daß es nicht leicht ist, längst Vergangenes wieder zu finden und die bildhaften Eindrücke in Einklang zu bringen, geht aus dem hervor, was Rosemarie Schulak, die 1933 im Waldviertel geboren wurde, zu Beginn und am Ende ihres Buches "Die vergessen sind" sagt. Es enthält 21 Erzählungen aus der Sicht des Kindes und heranwachsenden Mädchens. Sie berichten vom Schrecken des Krieges. Einwendungen, wir hätten davon schon genug, wäre entschieden zu widersprechen, geht es doch um die vielen "kleinen, ganz alltäglichen Begebenheiten, wie sie in großen Geschichtswerken niemals vorkommen". Sie wurden einige Zeit in Dörfern und Städtchen mündlich überliefert. Nach einem halben Jahrhundert sind sie vergessen oder verdrängt.

Hier aber erleben wir "das unbeachtete Dasein", die Leiden der kleinen Leute, ihre Hoffnungen, ihren Mut, die Hilfsbereitschaft, die Liebe. Unmenschliches allerdings auch. Die Erzählerin sieht dieses Erzählen als ihre Pflicht an, sonst ginge "all das Erinnerte, Geschehene und Gedachte" für immer verloren.

Zunächst geht es noch um die scheinbar ruhige Zeit vor dem Krieg. Dann setzen die Einberufungen ein. Die Welt ohne Männer, die Ängste der Frauen, deren Tapferkeit auch. Verfolgungen und gegenseitige Hilfe. Einmal auch das Vorbeiziehen verschleppter, völlig erschöpfter Juden. Panzer, Schüsse und Tod. Vergewaltigte Frauen. Die Schrecken des Krieges. Entbehrungen, Kälte, Nässe, Schnee. Der Hunger. Die Flucht der einen, das Untertauchen der anderen, wortwörtlich unter die Erde. Die feuchten Keller im Löß. Aber auch Menschlichkeit bei manchem der "Feinde". Versöhnendes und irgendwie Hoffnung.

Ein wichtiges Buch, inhaltlich und auch der Form nach. In einer Sprache, an der nichts ausgesetzt werden kann. Natürlich, so die Autorin bescheiden im letzten, surrealistisch anmutenden Teil, seien diese Aufzeichnungen ja nichts als "Nadelstiche in dem großen Gobelin" der erkennbaren Wahrheit. Aber es könnte dabei vielleicht doch die Ahnung aufkommen, daß einmal eintreten könnte, was nie und nimmer eintreten darf.

Die Vergessen sind Erinnerungen. Bilder. Geschichten.

Von Rosemarie Schulak, Edition Doppelpunkt, Wien 1997 243 Seiten, brosch., öS 195,

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