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Die zerplatzte Seifenblase

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Bombay, im April

Eine schöne Illusion ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Die maßgebenden Führer der indischen Politik hatten gehofft, daß sie durch ihre Politik der Freundschaft mit dem kommunistischen Block und durch ihr Wirtschaftsprogramm den Kommunisten den Wind aus den Segeln nehmen könnten. In dieser Illusion waren sie noch durch den Erfolg gestärkt worden, den die Kongreßpartei in den Wahlen 1955 in der neuen Provinz Andhra gegen die Kommunisten erzielt hatte.

Das Ergebnis der jüngsten Wahlen hat aber den Beweis erbracht, daß in allen Provinzen, mit Ausnahme von Madras und Andhra, die Kommunistische Partei seit den letzten Wahlen zugenommen hat. Sie kann nun in Kerala (Südindien) die Regierung bilden und ist zur stärksten Oppositionspartei in Westbengalen geworden.

Es ist freilich mehr die Tendenz als die aktuelle Position der Kommunistischen Partei, die zu Besorgnis Anlaß gibt. Denn die Kongreßpartei hat immer noch eine beruhigende Mehrheit im Parlament und behauptet die Macht in elf der dreizehn Provinzen. Aber die ständig zunehmende Linksrichtung des politischen Kurses in Indien ist doch unverkennbar und muß für die Kongreßpartei eine heilsame Warnung sein. Sie kann sich nicht für alle Zeit auf ihren überragenden Führer Pandit Nehru stützen und muß endlich aufhören, sich allein auf vergangene Dienste zu berufen. Für die Wahlen im Jahre 1962 wird eine neue Wählergeneration herangewachsen sein, die sich dieser Dienste kautn mehr erinnern wird — und will.

Die kommende kommunistische Regierung in Kerala wird die Kongreßregierungen in den übrigen Provinzen Indiens wahrscheinlich überall durch ihre Parteidisziplin, persönliche Unbestechlichkeit ihrer Mitglieder und große Aktivität ausstechen. Bis jetzt hat sich die Kommunistische Partei in öffentlichen Kundgebungen sehr bescheiden und zurückhaltend gezeigt. Die Führer der Partei haben nicht mehr als eine aktive und unbestechliche Administration versprochen, die sich aber ganz nach den Wünschen der Wählerschaft richten wird. Wahrscheinlich wird sich die kommunistische Regierung in Kerala zuerst auf den Aufbau der kooperativen Bewegung konzentrieren und versuchen, im Staatfij- alle, - Arten i von Genossenschaften .und Konsumvereinen zu errichten und zu fördern, die dann den Bauern zugute kommen sollen. Dann versprechen die Kommunisten, die Verstaatlichung der ausgedehnten Plantagen im Staate zu betreiben, die im Besitz von Ausländern sind. Damit werden sie bestimmt bei allen Schichten der Bevölkerung Anklang finden. Im übrigen wird die kommunistische Regierung immer wieder recht laut eine größere finanzielle Zuweisung zur Ankurbelung der Wirtschaft aus dem Fonds der Zentralregierung fordern. Sollten Wirtschaftsprojekte scheitern, wird sie die Schuld auf die Kargheit der Zuwendungen der Zentralregierung abwälzen.

Kerala hatte mit der Administration der Kongreßpartei und der Sozialistischen Partei in der Vergangenheit so schlimme Erfahrungen gemacht, daß die Provinz den Kommunisten schon dankbar sein wird, werm sie nur eine saubere und aktive Administration garantieren. Aber schließlich wird das Schicksal der Kommunisten in Kerala davon abhängen, ob sie das schwierige Problem der Arbeitslosigkeit in der gebildeten Mittelklasse lösen können. Die verzweifelte Lage gerade dieser Bevölkerungsklasse hat ja die Kommunisten zur Macht geführt. Hier wird die Kommunistische' Partei aber eine harte Nuß zu knacken haben. Denn dieses Problem ist ohne radikale Maßnahmen kaum zu lösen. Gerade solche aber sind der Kommunistischen Partei verwehrt, da sie ja nur eine ganz geringe Mehrheit in der Provinz besitzt (65 von 126 Sitzen in der Provinzversammlung). Auch wird die Zentralregierung sehr darauf sehen, daß die Kommunisten ihre beschränkten Machtbefugnisse, die ihnen von der indischen Konstitution gewährt werden, nicht überschreiten.

Schon vor den vergangenen Wahlen mußten so manche Mandatare der Kongreßpartei fallen gelassen und durch andere ersetzt werden. Trotzdem ist die führende indische Partei noch weit von dem Idealismus ihrer Mitglieder entfernt, der in der Zeit vor der Unabhängigkeit in der Partei vorherrschte. Der Idealismus hat vielfach einem zynischen Opportunismus Platz gemacht; auch hat die Parteidisziplin stark gelitten. Daher auch die vielen unangenehmen Ueberraschungen, die die Kongreßpartei durch die Nichtwahl so vieler ihrer Kandidaten erleben mußte. Die Partei hat den Kontakt mit den Massen verloren. Sie hat ferner viele Kandidaten aufgestellt, die nicht das Vertrauen de» Wähler besaßen. Dazu haben allzu viele Ab geordnete und Regierungsmitglieder der Kongreßpartei in den einzelnen Provinzen durch Bestechlichkeit und Unfähigkeit im Amte versagt. Die öberste Leitung der Kongreßpartei, die sich bisher nur mit Widerstreben mit diesen ernsten Schwächen ihrer Mitglieder befaßt hat, muß sie nun fest und entschieden auszumerzen suchen, will sie nicht noch mehr an Boden verlieren.

Eine andere sonderbare Erscheinung konnte in den jüngsten Wahlen noch wahrgenommen werden. Während die Wähler allgemein, nur mit Ausnahme der Provinz Orissa, die gesamtnationalen Parteien vorgezogen haben, sind separatistische Gruppen wieder allenthalben in der Kongreßpartei untergeschlüpft. Frühere Parteien, die im Namen ihrer besonderen Religion, Kaste, Sprache oder Teilnationalität eine besondere Behandlung und Bevorzugung forderten, sind nun wieder in der Kongreßpartei aufgegangen. Die Partei, die doch allen Individuen die gleichen Rechte im indischen Staate zubilligt und dieses Prinzip zu einem Grundprinzip der Partei erhoben hat, wird besonders wachsam sein müssen, soll der Krebsschaden des Separatismus sich nicht wieder in der Kongreßpartei festsetzen. Vertreter dieser separatistischen Parteien, die wie die Jana Sangh und die Ram Rajya Parishad die Ziele der nun untergegangenen fanatischen Hindupartei (Hindu Mahasabha; ein Mitglied dieser Partei ermordete seinerzeit Gandhi!) verfolgen, sind nur in fünf Provinzen in die Volksvertretung gewählt worden. Um Stimmen zu fangen, hat die Kongreßpartei aber in vielen Provinzen ihr Grundprinzip der Gleichheit aller indischen Staatsbürger ohne Rücksicht auf ihre Religion, Kaste und Nationalität geopfert und frühere prominente Vertreter solcher Parteien als ihre Kandidaten aufgestellt. Diese Kandidaten, soweit sie nun doch gewählt wurden, werden in den Provinzversammlungen ihre Sonderinteressen im Namen der Kongreßpartei vertreten.

Wie steht es nun mit der Sozialistischen Partei Indiens? Die Wahlergebnisse waren für die Partei sehr schlecht in Kerala, Andhra, Assam, Pandschab, Orissa und Madras; sie hat ihre Position aber in Bombay, Madhya Pradesch, Uttar Pradesch und Bihar verbessert, während sie in Mysore sogar zur zweitstärksten Partei geworden ist. Es ist aber fraglich, ob die Sozialisten sich von den Kommunisten viel unterscheiden und ein unabhängiges Programm aufstellen können. Schließlich werden sie doch von den Kommunisten absorbiert werden, wie es ihr Schicksal in so vielen anderen Ländern gewesen ist.

Der Bombaystaat ist von der Regierung gegen die starke Opposition zweier linguistischer Gruppen gebildet worden, der Mahratten und der Gujeratis. Die Parteien, die die Interessen der einen und der anderen Gruppe vertreten, haben viele Stimmen erhalten. Sie fordern nun eine Teilung des Bombaystaates. Die Kongreßpartei, die doch die Mehrheit im Staate behauptet hat, lehnt jede Teilung bis zu den nächsten Wahlen ab. Doch sind sich beide Parteien auch untereinander uneins, weil jede Gruppe Bombay für sich als Hauptstadt beansprucht. Auch wird das kommunistische Element, das stark in die Mahrattenpartei infiltriert ist, von den Antikommunisten in derselben Partei abgelehnt. So hofft die Kongreßpartei, daß durch diese Uneinigkeit der Bombaystaat erhalten bleiben kann, wie er jetzt besteht.

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