Werbung
Werbung
Werbung

Retrospektive zu Franz Ringels 65. Geburtstag in der Sammlung Essl.

Die Reisemetapher erfreut sich weiter Verbreitung. Einige, die von ihr Gebrauch machten, nahmen sie wörtlich in einem geografischen Sinn und entführten die Rezipienten in die entlegensten Gegenden dieser Welt, manchmal so entlegen, dass sie frei erfunden waren. Selbstverständlich gab und gibt es diese Gegenden dennoch - zumindest in der Festlegung des Erfinders und in der Weiterführung durch die Rezipienten. Andere wiederum verstanden die Reisemetapher in einem zeitlichen Sinn und luden zu Zeitreisen in die Vergangenheit und in die Zukunft ein. Wenn die Sammlung Essl nun anlässlich eines runden Geburtstags die Stationen der Lebensreise des Jubilars Franz Ringel in einer geballten Ladung seiner Bilder vorstellt, dann lassen sich die Ausstellungsmacher explizit auf die beiden vorgestellten Reisemetaphern ein: Die zeitliche ist in Form von Lebensdaten von 1940 bis heute präsent, die geografische Form pendelt zwischen Graz, Paris und Wien. Franz Ringel selbst versteht diese Metapher aber auch noch in einem ganz anderen Sinn, wie seine Bilder verraten.

Bei Ringel begann vieles nicht ganz so rosig. Der Sohn eines Landarbeiters und einer Wäscherin muss mit neun Jahren als Ziehkind zu einem Lehrerehepaar übersiedeln. Trotz der geografischen Nähe war die Umstellung enorm. Aber gerade seine Zieheltern ermöglichten ihm nicht nur eine Keramikerlehre an der Grazer Kunstgewerbeschule, sondern auch ein nie zu Ende geführtes Studium an der Akademie der bildenden Künste und unterstützten ihn während der jungen und kargen Künstlerjahre weiterhin finanziell. Der große Förderer Otto Breicha entdeckte ihn zu Beginn der 1960er Jahre und ermöglichte ihm auch die Teilnahme an der legendären Ausstellung "Wirklichkeiten" in der Sezession im Jahr 1968.

Kampf um den Körper ...

Wie für die fünf anderen beteiligten Künstler war diese Schau auch für Ringel eine Zusammenfassung seiner Bestrebungen, gegen künstlerische Positionen aus jener Zeit aufzutreten. Im Wiener Milieu galt der Kampf in erster Linie der Wiener Schule, die mit hyperrealistischer Malweise versuchte, verschrobene Wirklichkeiten auf die Leinwand zu bannen. In einem weiteren geografischen Zusammenhang betrachtet polemisiert Ringels Malerei heftig gegen die analytisch sauber vorgehende Op-Art der bloßen Sinnestäuschung genauso wie gegen die krassen Reduzierungen der Minimal-Kunst und der die Idee zum Kunstwerk erklärenden Konzeptkunst. Ringels Metier blieben die Zeichnung und die Malerei und zwar in deren Reinform. Alles, was überzogen kopflastig und ausschließlich konstruiert daherkam, war und ist für ihn viel zu weit weg vom Menschen in seiner gesamten Erscheinung.

Für Ringel ist klar, dass wir als Menschen jeweils ein Körper sind, ein Körper, mit dem wir aufgewachsen sind, dessen Bild uns buchstäblich in Fleisch und Blut übergegangen ist und dessen großartige Möglichkeiten und unsäglichen Beschränkungen uns nicht nur unsere Identität geben, sondern auch unser Weltmodell entscheidend beeinflussen. Insofern verwendet Ringel die Reisemetapher ausschließlich als eine Reise durch den Körper. Und indem er das in dieser Konzentration tut, öffnet er sich gleichzeitig der Welt, dem Universum in unendlichen Galaxien genauso wie dem inneren Universum bis in unauslotbare Seelenwinkel. Ohne Fleisch spüren wir nichts, weder uns noch die Umwelt, diese Weisheit malt Ringel mit jedem seiner Pinselstriche auf den Malgrund. Galt es in den wilden 60er Jahren noch mit vielen zur Schau gestellten Geschlechtsteilen und ungustiösen Einblicken in Gedärmewindungen einer bewussten Provokation zu frönen, so zeigte sich doch bald, dass die Welt wirklich so hässlich sein kann, wie sie Ringel wunderschön festhielt.

... und die Macht der Farbe

Unbeirrt durch die Beschimpfungen und eine Verurteilung überzeugten Ringel die Mächtigkeit der Farbe, wie von der Cobra-Gruppe vorexerziert, und die bewusste Rückkehr zur Ehrlichkeit unverbildeter Ausdrucksformen, wie sie Jean Dubuffet in seiner Art Brut oder die zustandsgebundene Kunst aus Gugging anboten, für seine Bildfindungen. Trotz der künstlerischen und motivischen Anregungen bleibt seine Kunst immer autobiografisch. "Ich beschäftige mich immer mit demselben, mit mir selbst. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, ich stecke in meiner Haut. Ich muss ja meine Persönlichkeit nicht verbergen, denn es gibt mich ja", sagt er im Interview.

Und so holt er mit gekonnten Pinselschwüngen die archetypische Spannung von Leben und Todestrieb oder Eros und Leiden aus den eigenen Tiefen hervor und begleitet die Betrachter malerisch in deren Kampf. Und immer dann, wenn sich ein Zugang künstlerisch erschöpft hatte, verpasste sich Ringel eine Erneuerungskur, um die Reise fortzusetzen - mal konkreter beim Motiv ansetzend, mal freier mit größerer Abstraktion. Bis hin zu jüngeren Arbeiten, in denen der leere Raum zusehends an Bedeutung gewinnt, den Körper einerseits bedrängt, andererseits aber in eine große Weite hinauslocken möchte.

Franz Ringel

Stationen einer Reise

Sammlung Essl, An der Donau-Au 1, 3400 Klosterneuburg

Bis 1. November

Di-So 10-19, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Franz Ringel. Stationen einer Reise, Klosterneuburg 2005

164 Seiten, e 27,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung