6610691-1954_50_10.jpg
Digital In Arbeit

Übrig blieb nur die Statuette

Werbung
Werbung
Werbung

„Das endgültige Immaculata-Bild hat uns das 17. Jahrhundert geschenkt. Losgelöst von allen beschwerenden Zutaten wie biblischen Symbolen und Texten, alt- und neutestamentlichen Gestalten und disputierenden Theologen, schwebt sie, nur von Engeln umgeben, in holder Schönheit und von himmlischem Lichtglanz umflossen, über der Weltkugel und der Mondsichel, der Schlange den Kopf zertretend. Dieses triumphierende Madonnabild ist der genaue Niederschlag des Triumphes, den der

Immaculata-Glauben im ausgehenden 16. und 17. Jahrhundert feiert.“ (Künstle, Ikonographie, 1 655.)

Der Stephansdom zu Wien aber erhielt noch zur Mitte des 17. Jahrhunderts auf die Bekrönung des neuen Hochaltars eine Figur und in den Frauenaltar des Nordchors ein Gemälde: nicht der Unbefleckten Empfängnis, sondern der Aufnahme Marias in den Himmel. Erst am Beginne des 18. Jahrhunderts kommt eine kleine marmorne Immaculata-Statue der geschilderten Art ins Aufsatzfeld des Sankt- Johannes-Altars am freistehenden Pfeiler gegenüber der Kanzel. Das Bild darunter trägt die Signatur „J. M. Rottmayr von Rosenbrunn fecit Anno 1708“. Stifter und Bildhauer sind nicht überliefert. Die Statuette ist dem Hauptzweck — darzustellen, wie der heilige Vorläufer im Umkreis seiner Verwandten den Namen Johannes erhält — bloß eingeordnet und darum wenig auffällig.

Alsbald aber erhielt die Immaculata einen eigenen Altar. Erzbischof Sigismund Graf Kollonitz weihte ihn am 11. Oktober 1725. Ein zweites Jahr der Errichtung, 1766, läßt sich so erklären, daß der Altar von den Stufen der Chorapsis an die Nordwand des Frauenchors, ungefähr beim Grabmal des Propstes Veit Rosmann, rückversetzt wurde. Ein Vergleich zweier Grundrisse aus den Jahren 1722 und 1766 zeigt diesen Platzwechsel. Von seinem Aussehen ist nur bekannt, daß auf dem bogenförmigen Bilde Maria dargestellt war. Fast eineinhalb Jahrhunderte lang bestand dieser wohl barock-marmorne Maria-Empfängnis-Altar.

Zur Mitte des 19. Jahrhunderts ergaben sich zwei Anlässe, die zur Errichtung eines zweiten Immaculata-Altars führten. Der erste war der, daß am 18. Februar 1853 Kaiser Franz Joseph I von einem Attentat errettet wurde. Da der Bau der großen Votivkirche längere Zeit erforderte, bewilligte das fürsterzbischöfliche Konsistorium vom 1. Juli die Aufstellung eines holzgeschnitzten Votiv-Altars an Stelle des barockmarmornen Barbara-Altars in der gleichnamigen Kapelle unter dem Halbturm. Ein Verein adeliger Frauen übernahm die Anschaffung des Altars. Architekt Heinrich Fer stel lieferte den neugotischen Entwurf. Er baute später auch die Votivkirche. In den Seitenflügel des Altars malte Karl Geiger die Namenspatrone des Kaisers, Franz und Josef.

Für das mittlere Hauptbild, das Karl Blaas malte, erwählte der adelige Frauenverein die Darstellung der makellosen Jungfrau Maria. Sie ist, wie die Haltung der offen gesenkten, gnadenspendenden Hände bezeugt, in der Art der sündenlos empfangenden Jungfrau von der wunderbaren Medaille dargestellt, deren Er scheinungen im Jahre 1830 die Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis wesentlich beschleunigten („Die wunderbare Medaille der Unbefleckten Jungfrau. II.“, Schriftenapostolat.) Der zweite Anlaß war die Verkündigung der Glaubenslehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariä am 8. Dezember 1854. Wie sie in Wien begangen wurde, entnehmen wir folgender Sch lderung: „Seit Wochen hatten die Jesuitenmissionäre, im März 1855 hier zuerst auftretend, auf das bevorstehende große Ereig nis in der katholischen Welt vorbpreitet. Am 20. Juni wurde das Ereignis im St.-Stephans- Dom verkündigt und, wie in alter Zeit, durch eine große Prozession gefeiert. Voran schritten die katholischen Lehrjungen- und Gesellenvereine mit Fahnen und Marienbildern und der Severinusverein. Darauf folgten weißgekleidete Kinder und Jungfrauen, die Pfarrgeistlichkeit, die Klöster, der Gemeinderat und Magistrat, die Universität und der gesamte Hofstaat. Hinter dem päpstlichen Nuntius schritten der Kaiser, die Kaiserin und sämtliche Erzherzoge “ (Weiß, Geschichte Wiens, 11 581.)

Die feierliche Weihe des Votiv-Altars fand durch Weihbischof Dr. Zenner am Beisein des kaiserlichen Hofes am 24. April als am ersten Jahrestage der Vermählungsfeier des Kaisers statt.

Der barocke Empfängnis-Altar stand längstens bis zur Renovierung des Frauenchors im Jahre 1861. Der neugotische in der Barbara- Kapelle erreichte gleichfalls das Alter eines fast ganzen Jahrhunderts.

Bemerkenswert ist, daß dieser adelige Stiftungsaltar der Statue der Dienstboten- Madonna benachbart war. Ihr Name scheint noch nicht 1779 in der Dombeschreibung auf. Erst 1843 ist vermerkt: „Neben diesem (Barbara-) Altäre wird ein auf einer Säule stehendes Marienbild, die Dienstboten-Muttergottes genannt, andächtig verehret.“ Die Legende von dem Dienstmädchen, das unschuldig des Diebstahls verdächtigt wurde, kommt nicht einmal 1873, sondern erst 1878 vor. Die Bezeichnung „Dienstboten-Madonna" entstammt also der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und sollte daher kommen, daß beim Ausgange der Frauenseite im Tor des Halbturms die Zofen ihre adeligen Damen zum gemeinsamen Heimweg erwarteten und in der Zwischenzeit ihre Andacht der wundervollen gotischen Madonnenfigur widmeten.

Adelsstiftung und Neugotik des Empfängnis- Votiv-Altars verloren schließlich ihren Anwert durch den Wandel in Politik und Kunst. Gerade noch die Dienstboten-Madonna vermochte die Aufmerksamkeit dauernd auf sich zu ziehen. So kam es, daß schließlich wohl von dieser Marienstatue, nicht aber vom Empfängnis-Altar eine Photographie vorhanden war. Als im April 1945 aus dem mächtigen Dombrande die „Halb- Bummerin“-Glocke in die Querschiffhalle abstürzte und der hölzerne Immaculata-Altar in der anliegenden Barbara-Kapelle vollständig verbrannte, machte es nicht geringe Mühe, eine Abbildung des Empfängnis-Altars zu finden.

Die:„Dienstboten-Madonn;vom Brande nur gedunkelt, wurde aus der Barbara-Kapelle an den Kanzelpfeiler versetzt. Wie eine steingewordene Predigt verkündet sie dort unserer Generation die ewige Schönheit demütigen Dienstes. Die Barbara-Kapelle wartet zugleich mit dem Halbturm auf die Wiederherstellung, die notwendig auch die Errichtung eines weiteren Altars mit sich bringen sollte. Als einzige Immaculata-Darstellung des Stephansdomes blieb somit nur die barocke Marmorstatuette über dem Altarbild des heiligen Täufers Johannes übrig. Immerhin war sie zur Feier der Unbefleckten Empfängnis im Marianischen Jahr eine schätzenswerte Vertreterin des Bildes der makellosen Jungfrau.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung