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Der „Meister V“ des Kefermarkter Altars

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Wir bringen nachstehend den inter- essanten Versuch eines anerkannten Fachmannes, vornehmlich durch die Entschlüsselung der vieldiskutierten Inschrift die Autorschaft des Kefermarkter Altars zu lösen. Die Arbeit stellt einen Auszug aus einer für den Druck bereitliegenden umfangreichen These dar, die in der Fachwelt lebhaften Widerhall finden dürfte.

„Die Furche“

Ein Relief des berühmten Kefermarkter Flügelaltars, eines der schönsten und geheimnisumwittertsten Kunstdenkmälcr des ausgehendsten 15. Jahrhunderts, enthält vier rätselhafte Buchstabengruppen. Ihre Entzifferung ist schon öfter versucht worden, ohne daß die Kunsthistoriker bisher die Ergebnisse gelten lassen konnten.

Daß diese Buchstaben — es sind nicht weniger als 22, die über das Gewand des Mohrenkönigs verteilt sind — kein bloßer Schmuck sind, wie manche meinen, sondern eine Inschrift darstellen und einen Text verbergen, verrät schon der Umstand, daß eine Anzahl von ihnen für das Auge nur wenig oder gar nicht zur Geltung kommt. Dazu kommt, daß zweimal je sechs und zweimal je fünf Buchstaben zu einer Gruppe zusammengefaßt sind, eine Aufteilung, die, wenn es sich um bloßen Schmuck handelte, erwarten ließe, daß sie auch entsprechend zur Wirkung gelangt. Feiner steht eine der Gruppen verkehrt, und das hätte, wenn die Buchstaben nur eine Zier sein sollten, wieder deshalb keinen Sinn, weil zwei von den Buchstaben dieser Gruppe, die übrigens kaum zu sehen sind, durch die Umkehrung kein anderes Aussehen erhalten. Außerdem befinden sich unter den Buchstaben ungewohnte Formen, deren Bildung keineswegs auf Schmuck hinweist, und endlich tritt ein einzelner Buchstabe, was bisher unbekannt geblieben ist, weil er eben nicht ins Auge fällt, so aus allen übrigen heraus, daß damit unbedingt ein bestimmter Zweck verbunden sein muß. Das V am Ende der ersten Gruppe ist nämlich, während die anderen Buchstaben geschnitzt sind, nur mit Farbe aufgetragen und wird durch ein Herabgehen des Überwurfs auf der Schulter der die Inschrift tragenden Gestalt über den Streifen mit den Buchstaben von den übrigen Teilen seiner Gruppe abgetrennt.

Wie ist diese Inschrift aber nun zu lesen? Daß die Buchstaben, so wie sie dastehen, nicht zu Wörtern zusammenzufassen sind, sieht man sofort. So kam August Scheind- ler auf den Gedanken, es könne ein Anagramm vorliegen. Wo sollte aber der Text beginnen? Offenbar bei dem Haken am Anfang der dritten Zeichengruppe, der einer arabischen Eins ähnelte und kein Buchstabe zu sein schien. Und so stellte Scheindler von da aus, indem er bald hier, bald dort aus dem Material etwas herausgriff, einen Wortlaut zusammen, in welchem der Tiroler Bildhauer und Maler Michael Pacher, der den Flügelaltar von Sankt Wolfgang schuf, als Schöpfer des Kefermarkter Altars zutage kam. Allein nicht nur das Fehlen des Buchstabens R, den Scheindler durch eine unbegründete Annahme in die Inschrift hineinbrachte, sondern auch der von dem Kefermarkter Meister erheblich abweichende Stil des Meisters von St. Wolfgang stempelte diese Lösung Zu einer Falschlösung.

Scheindler suchte hinter unseren Buchstaben einen lateinischen Text und damit hatte er recht. Dies legt schon der Umstand nahe, daß sie, in der Form der lateinischen Majuskeln gehalten, auf einem gotischen Altarwerk auftauchen.

Als ich mich nun anschickte, eine Lösung zu versuchen, war es mein erstes Bestreben, über d'e Buchstaben fermen Klarheit zu gewinnen, denn wenn auch nur ein Buchstabe falsch aufgefaßt wurde, war das ganze Bemühen in Frage gestellt. Scheindler hatte, wie es auch heute noch geschieht, ein zweimal vorkommendes G, weil es eine für die Jetztzeit ungewohnte Form hat, als C aufgefaßt, und schon damit erweisen sich seine Ergebnisse als unrichtig. (Die Bemühungen anderer können übergangen werden.) Ich wies nach, daß das eigenartige Anfangszeichen der ersten Gruppe eine Kombination von X und I ist, und kam dahinter, daß die schon erwähnte Hakenform sowohl als C als auch als T fungieren konnte. So ergab sich die Reihe:

XIPKMV GENTGV 1WEHI OMTAN

(Der Haken wurde wegen seiner doppelten Funktion — bei der Lesung nach rechts bedeutet er, wie herauskam, ein C, bei der Lesung nach links ein T — belassen.)

Nach diesen Verarbeiten stieß ich auf neue Schwierigkeiten. War ein lateinischer Text zu erwarten, was sollte in einem solchen der Buchstabe W, der in einem lateinischen Text nicht möglich war? Was das K, das bei den Römern durch das C ersetzt wurde? (Nur bei etlichen Ausdrücken verblieb es, die nicht in Frage kamen.) Und dann das X, mit dessen lateinischen Lautwert nicht anzufangen war, das aber offenkundig auch nicht als Zehner zu gelten hatte? Während ich über diese böse Dreiheit nachsann, erhob sich in mir der Gedanke: Sind das nicht die Anfangsbuchstaben nichtlateinischer Wörter, die im Inschrifttext Vorkommen? Und richtig! Da das X im griechischen Alphabet ein di bedeutete und der Stifter des Altars den mit di beginnenden, aus der griechischen Sprache stammenden Namen Christoph führte, da der Name des Ortes, in dessen Kirche der Altar mit der Inschrift stand, mit K anlautete und der Name des in der Nähe dieses Ortes gelegenen Schlosses des Altarstifters, Weinberg, hieß,- das heißt mit W begann, da also die drei Buchstaben, welche aus den übrigen einen lateinischen Text in Aussicht stellenden Buchstaben herausfielen, gerade die Anfangsbuchstaben dreier Namen waren, die in dieser Inschrift Vorkommen konnten, war. wie es schien, der Ausgangspunkt für die Enträtselung der Inschrift gefunden. Vertraten aber nun die drei Buchstaben jene Namen als deren Anfangsbuchstaben ' (warum X und nicht C geschrieben war. mochte sich noch heraussteilen: der Grund dafür kam in der Tat bei der Rücklesung der Inschrift an den Tag), so handelte es sich offenbar auch bei den anderen Buchstaben der Inschrift um Kurzschreibungen, um Abbreviaturen, wie sie, von den Römern her, in früheren Jahrhunderten bei Inschriften, in Urkunden usw. auch auf deutschem Gebiet in Gebrauch waren. (Es werden auch heute noch solche Kürzungen verwendet.) Bei diesen Abbreviaturen wurde ein Wort durch seinen Anfangsbuchstaben oder durch die ersten zwei oder auch durch mehr Buchstaben wiedergegeben Daß der Name „Zelking“ nicht vorkam, tat nichts zur Sache, denn der Stifter des Altars konnte in der Inschrift als „Herr von Weinberg“ angegeben sein.

Nun galt es, den in der lateinischen Sprache herkömmlichen Kurzschreibungen nachzuspüren, denn nur solche kamen in Betracht; die Verwendung ungebräuchlicher Kürzungen hätte keinen Sinn gehabt, weil dann die Inschrift niemand hätte lesen können. Diese war freilich, schon wegen der lateinischen Sprache, nur für Gebildete, etwa für Priester und Juristen, lesbar. Um vorwärtszukommen, hatte ich mich jetzt mit dem Altar eingehend zu beschäftigen und alles über dessen Stifter und seine Familie Überlieferte zu studieren, denn es war im Hinblick auf die Buchstaben X, K und W in der Inschrift offenbar von der Stiftung des Altars durch Christoph von Zelking, den Herrn von Weinberg, die Rede. Es stellte sich denn alsbald auch heraus, daß neben dem Namen des Altarstifters auch die Ämter, die dieser dereinst bekleidete, angeführt waren, and das in der natürlichen Reihenfolge ihrer Gewichtigkeit. Ferner ergab sich, daß die Buchstaben auch rückwärts zu lesen sind. Und so kam nach und nach der volle Text der Inschrift zum Vorschein. Er lautet:

„Christophorus Illustrissimus Patronus Kefermarkti Magnus Vir Genere Egregio Natus Territorii Gubernator Centurio Weinbergensis Ex Hereditate Iudex Ob- tulit Mortis Tempore Aram Novam Nativitatis Mortis lesu Episcopi Wolf- gangi Tu toris. Vitus Gemtnam Tabu- lam Natus Egit. V. Monumentum Kefermarkti Posuit Vito Christophoro Wein- bergensibus.“

Deutsch: „Christoph, der hoch angesehene Schutzherr von Kefermarkt, ein bedeutende! Mann aus hervorragendem Geschlecht, Viertelhauptmann, Pfleger und Erbrichter von Weinberg, opferte, schwer krank, einen neuen Altar der Geburt und des Todes Jesu und des Bischofs Wolfgang, des Kirchenpatrons,

auf. Veit, sein Sohn, ließ das Doppeltafelwerk errichten. V. sdiüf das Weihgeschenk an Kefermarkt für Veit und Christoph, die Herren von Weinberg.“

Drei Teile umfaßt dieser Text. Im ersten ist vom Stifter des Altars die Rede, im zweiten von dessen Erbauer und im dritten von dessen Schöpfer. Und gerade das V, das, wie schon eingangs betont wurde, unter den Buchstaben so auffällig hervortritt, stellt sich als der Anfangsbuchstabe des Namens des Altarschöpfers heraus.

Fünf Dinge kamen durch die Enträtselung der Inschrift ans Licht. Erstens, daß der Altar eine Oblation Christophs von Zelking in schwerer Krankheit ist; zweitens, daß Veit, dessen Zweitältester Sohn, den Altar vollenden ließ; drittens, daß im Ge- spreng des Altars, wie man auch aus den Vertiefungen im Pfosten, auf dem dieses aufgebaut ist, noch erkennt, eine Kreuzigungsgruppe angebracht war; viertens, daß die Reliefbilder, was von manchen in Zweifel gezogen wird, zum ursprünglichen Bestand des Altars gehören, und endlich fünftens, daß der Name des Meisters, der den Altar schuf, mit dem Buchstaben V beginnt.

Wer war aber der Meister V? Daß er ein Großer war, bezeugte die Fülle und Vielfalt seiner Gestalten, seine reiche Innerlichkeit, die vom tiefen Ernst bis zum köstlichen Humor ihren goldenen Bogen spannte, und das blutvolle Leben und die liebevolle Ausführung seiner naturgewachsenen Gebilde. -Um seinen Namen ausfindig ra machen, hatte Ich nicht nur die allgemeine. Wesenheit des Schöpfers des Kefer- markter Altars aus diesem herauszulesen, sondern ebensowohl das Auftreten und die Wiederkehr bestimmter Einzelzüge, die für den Altar charakteristisch 'waren, ins Auge zu fassen, und ich hatte dann nach Schöpfungen zu suchen, denen der .Altar auf Grund der Übereinstimmung in beiden Punkten zugeordnet werden konnte.

Vor allem drängte sich eine Eigentümlichkeit auf, die bei dem Kefermarkter Altar so häufig begegnet, daß sie als ein Hauptmerkmal der Kunst eines Schöpfers tu bezeichnen ist. Sie zeigt sich bei dem 'nschriftträger am deutlichsten: die eine Schulter ist etwas hochgezogen und der Kopf zur Seit geneigt. Dieselbe charakteristischi Haitang findet sich bei dessen Hintermann und, mehr oder weniger deutlich, bei einer ganzen Reihe von Figuren. D e menschliche Gestalt erscheint auch vielfach eigentümlich gebogen (am deutlichsten wieder beim Insdirift- träger), und wiederholt fallen auch eine gewisse Gedrungenheit, abfallende Schultern und ein verhältnismäßig großer Kopf auf. Was den Grundcharakter des Altarwerkes betraf, so zeigte dieses in der Vereinigung von Kraft und Zartheit, erquickendem Humor und tiefem Sehnte i z eine so unverfälscht quellende Nahrhaftigkeit, daß kein Zweifel darüber bestehen konnte, daß es ein bodenständiger süddeutscher Meister schuf. Wie ich nun die Werke der süddeutschen Bildhauerei jener Zeit durchging, erkannte ich alsbald, daß nur ein Künstler als Schöpfer des Altars von Kefermarkt in Frage kam: Hans Valke n- auer, der Hauptmeister der Salzburger Plastik der Spätgotik, der, wahrscheinlich aus dem Salzburgischen stammend, um 1448 gehören wurde und 1518 als 70jährig bezeichnet wird. Die Werke dieses Meisters weisen in überzeugendem Maße die Züge auf, die als besondere Eigentümlichkeiten des Kefermarkter Altars festgestellt wurden. Jenes Hochziehen der einen Schulter, verbunden mit einer Neigung des Kopfes nach der Seite, tritt auf Valken- auers Grabmonumenten für Wg. von Polheim und Wg. Panicher so auffällig in Erscheinung, daß man, da sich dazu noch andere Gemeinsamkeiten gesellen, unschwer erkennt: diese Gestalten bilden mit dem Inschriftträger auf dem Kefermarkter Altar eine Werkgruppe, aus deren Teilen mit überzeugender Kraft dieselbe Künstlerpersönlichkeit spricht. Es ist hier nicht möglich, aus den Werkvergleichen weiteres vorzubringen. Sie ergehen, daß Valken- auer als der Schöpfer unseres Altars anzusprechen ist. Und das wird auch von anderer Seite her bekräftigt. /Darüber sei nur gesagt, daß Wg. von Polheim, dessen Grabmal Valkenauer schuf der Schwager Christophs von Zelking, des Stifters des Kefermarkter Altars, war. Aus den Jahren zwischen 1487 und 1498 ist über Valkenauers Schaffen nichts bekannt. Gerade in diese Zeit aber fällt die Entstehung des Altars. Demnach begegnet auch dessen zeitliche Einordnung in die Reihe der Arbeiten Valkenauers keiner Schwierigkeit.

Ich habe hier Wege und Ergebnisse meiner Forschung, irt einem kurzen Auszug dargelegt,. da augenblicklich, wie es scheint, keine Möglichkeit besteht, sie in Buchform herauszubringen. Wer meine Ausführungen gewissenhaft nachprüft, wird ihnen beipflichten, denn wenn die Wörter, die aus den Kürzungen der Insdarift geschöpft werden können, für eine Hin- und außerdem für eine Rücklesung Sätze ergeben, welche stilistisch einwandfrei sind und inhaltlich Angaben über den Stifter, Erbauer und künstlerischen Gestalter des Altars bringen, wenn ferner alle Eigentümlichkeiten der Inschrift ihre Erklärung finden, dann ist das wohl Beweis genug, daß die Lesung richtig ist. Was den Meister von Kefermarkt , anlangt, so kann ich zwar keinen Archivfund vorlegen, ans dem hervorgeht, daß dies Hans Valkenauer ist. Aber wenn die stilkritische Untersuchung klar auf Valkenauer weist, dessen Name mit dem Buchstaben anlautet, der in der Inschrift so herausgesetllt wird, wenn mehrere Wege von Valkenauers Auftraggebern zu dem Stifter des Kefermarkter Altars gehen und wenn endlich die Entstehung des Altars gerade in jene Lücke im Schaffen Valkenauers fällt, die in völ'iges Dunkel gehüllt ist, dann führt das doch wohl zu dem Schluß, daß der in der Inschrift genannte „Meister V“ Valkenauer ist. Und daß Valkenauer ein Künstler war, dem das geniale Werk von Kefermarkt zugemutet werden kann, das zeigt vor allem der Auftrag, den ihm Kaiser Mas erteilte (Kaiserdenkmal in Spever). Der Kefermarkter Altar aber ist sein Meisterwerk. Daß dessen Schöpfer zu den größten deutschen Bildhauern zählt, haben schon manche erkannt und ausgesprochen. Adalbert Stifter urteilte hinsichtlich des Altars, er sei ein Kunstwerk ersten Ranges, dem in seinem Fache kaum eines den Vorzug streitig machen könne. Dieses Urteil wird Geltung behalten, und der Name Valkenauer wird, über vier Jahrhunderte verschollen, wie ein neuer Stern aufglänzen und fortleuchten, solange echt Kunst noch etwas bedeutet.

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