Vom ehrlichen Ziegel bis zur Bionahrung

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In "Handwerk" sinniert Richard Sennett über Hand und Kopf, Praxis und Theorie.

Richard Sennett, Soziologe und "Kulturtheoretiker", ist es längst gelungen, seine eigene Marke zu kreieren. Der neue Sennett ist da, raunt es unüberhörbar durch die Feuilletons.

Mehr noch: der erste Band einer geplanten Trilogie hat vor kurzem das Licht der Buchwelt erblickt, die deutsche Übersetzung gar noch vor der amerikanischen Originalausgabe. Die geplanten Folgebände werden die delikate Paarung von Krieger und Priester, also von Aggression und Glaubenseifer, und den Fremden behandeln. Damit ist eine uns noch fremde umweltgerechte Lebensweise gemeint angesichts der drohenden Selbstzerstörung des Menschen. Das klingt recht erbaulich, und Erbaulichkeit durchzieht auch das vorliegende Buch "Handwerk".

Sennett hält dem Leser die idealisierte Gestalt des alten Martin Heidegger in seiner Todtnauberger Hütte vor Augen, "ein Bild des Ausgleichs und der Versöhnung zwischen uns und den Ressourcen der Erde." Sennett hat recht, das befremdet in der Tat!

Was vermittelt das Label Richard Sennett dem die großzügige Tour d'Horizon genießenden Kenner? Es steht für Kapitalismus- und Globalisierungskritik. Der Autor hat, als die Modeströmung des Kommunitarismus en vogue war, das Fehlen der Wärme in der Gesellschaft beklagt und an anderer Stelle zur rechten Zeit die alte instrumentelle Vernunft städtischer Architektur angeklagt. Nun steht wiederum ein Werk mit dem Anspruch schriftstellerischer Haute Couture auf dem Laufsteg.

Fulminantes Thema

Das Thema dieses neuen Sennett ist in der Tat fulminant. Es fällt ja auf, dass die Kultur mit der Verleugnung des menschlichen Handwerks begann. Bild, Sprache und Schrift sind von den Göttern auf die Erde geworfen worden, und in Visionen und Auditionen haben Menschen diese größten Kulturleistungen empfangen, nie war eine Menschenhand im Spiel.

Doch wenig von diesen Ursprüngen des Naserümpfens über das Handwerk findet sich in dem fahrig geschriebenen Buch, das stellenweise an eine willkürliche Materialsammlung erinnert. Es geht um das Verhältnis von Hand und Kopf, Praxis und Theorie und um die Vision, dass der Mensch erst im handwerklichen Herstellen die Welt und sich selbst besser versteht.

Auf dieser nicht wirklich aufregenden Neuigkeit, in der irgendwie sogar Thomas von Aquin und Karl Marx übereinstimmen, ruht die Hoffnung, mit den ungeliebten sozialen und ökologischen Folgen einer vermeintlich ungebändigten Wissenschaft, Technik und Ökonomie fertig zu werden, die Büchse der Pandora, die als anschauliche Metapher dient, geschlossen zu halten. So ähnlich hatte sich seinerzeit Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert die Sache schon vorgestellt, wo Theorie-Praxis noch "ora et labora" hieß, zwar nicht wörtlich in seiner Regel, aber der Intention nach. Am Eingang zur Werkstatt kapituliert jede technische und kapitalistische Entfremdung.

Abseits von solchem Pathos kann man auf den 400 Seiten durchaus schöne Entdeckungen machen. Etwa die eindrucksvolle Sozialgeschichte des Ziegels, die der Autor von Mesopotamien über das alte Rom bis ins England des 19. Jahrhunderts ausbreitet. Dort wurde er als "ehrlicher Ziegel" gepriesen, wenn er ohne Putzschicht sichtbar blieb.

Aber der Ziegel galt auch als plebejisches Baumaterial, und als gar die maschinelle Ziegelproduktion die Handfertigung ablöste, wurde er von John Ruskin, der in seinen "Stones of Venice" die Holprigkeit der mittelalterlichen Mauern gegenüber den exakten Renaissancebauten verherrlichte, in Grund und Boden verdammt. Ob man von dieser Geschichte unbedingt auf die zeitgenössische Bionahrung verfallen muss, mag dahingestellt bleiben, Ähnliches gilt für den Vergleich der homerischen Hymne auf den göttlichen Handwerker Hephaistos mit heutigen Programmierern des Linux-Betriebssystems.

Eingängig erzählt

Sennetts blendender Erzählstil macht die Geschichte von der Emanzipation der Renaissance-Handwerker kurzweilig. Sie waren im Mittelalter wie die Künstler in den niederen mechanischen Künsten versammelt und nicht in den angesehenen freien, die von Martianus Capella im 5. Jahrhundert bis in die Hochscholastik das mittelalterliche Bildungscurriculum bildeten. Die Geschichte ist eingängig geschrieben, aber die Begründung für die gelungene Emanzipation, die Sennett zu raschen Vergleichen mit britischen Ärzten und Krankenschwestern verführt, ließe sich mühelos durch andere ersetzen.

Sennetts Buch besticht durch zahlreiche soziologische Einsichten und Analysen - allesamt mehr oder weniger zustimmungsfähig, aber eine ideengeschichtliche und kulturtheoretische Strukturierung des Stoffes scheitert an der schieren Größe des Themas. Wenn er uns im dritten Band dazu anhalten will, andere Häuser zu bauen und Verkehrswege umzugestalten, um mit den natürlichen Ressourcen das Auslangen zu finden, wird er sich beeilen müssen, denn offene dynamische Systeme reagieren manchmal schneller als ihre Kritiker.

Handwerk

Von Richard Sennett

Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff

Berlin Verlag, Berlin 2008

432 Seiten, kart., € 22,70

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