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Auch eine Lebenshilfe

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Luise Rinser gibt in ihrem neuen Buch „Hochzeit der Widersprüche’ Antworten auf Leserbriefe, in denen sie von,Menschen aller Altersstufen und Berufe um Rat und Hilfe gebeten wird. Die Schreiber fragen nach dem Sinn des Lebens und Leidens. Sie quälen sich mit Glaubenszweifeln und fragen, ob es Gott gebe oder nicht; ob der Mensch frei sei in seinen Entscheidungen oder das, was er tut, „vorbestimmt’. Das Verhältnis des Menschen zur Krankheit, zu Hoffnung und Verzweiflung, zum Tod und zum Fortleben nach dem Sterben rückt ins Blickfeld; es wird über Eheprobleme gesprochen über die Rebellion der Jugend gegenüber einer fragwürdigen Gesellschaftsordnung, über politische und religiöse Ideologien und Gruppen. Die große Hilflosigkeit wird offenbar, die viele Menschen heute diesen und anderen Fragenkomplexen gegenüber empfinden, nachdem es keine geschlossenen Denk- und Glaubenssysteme mehr gibt.

All den an sie gerichteten Fragen zugrunde liegt die Wahrheitsfrage, meint Frau Rinser. „Gibt es die Wahrheit, gibt es überhaupt objektive Wahrheiten’, oder ist alles „nur relativ?’ Die Antwort der Autorin darauf:

„Das Beobachtete hängt immer ab und ist ,rahr’ innerhalb des Bezugssystems des jeweiligen Beobachters. Das bedeutet nicht, daß .nichts wahr’ ist, sondern daß etwas wahr ist in bezug auf etwas…’

Diese Methode des Erkennens erläutert Luise Rinser sehr einleuchtend am Beispiel der verschiedenen Gottesvorstellungen, das ich hier zitieren möchte:

„Ein Mensch, der als Kind unterdrückt war und zugleich gesagt bekam, Gott sehe alles und strafe und belohne, der wird sich einen autoritären Gott vorstellen und ihn ablehnen. Ein Mensch, der geliebt wurde und sich darum in der Welt geborgen fühlt, wird es leicht haben, sich Gott als einen liebenden vorzustellen und ihn wiederlieben…Ist eine dieser Vorstellungen wahr? Nein, in bezug auf das, was Gott selbst ist, nämlich: der absolut Unerkennbare; ja in bezug auf das Verhalten des jeweiligen Menschen zu diesem Unerkennbaren…’

Hier wird das Grundthema des Buches transparent, das im Titel „Hochzeit der Widersprüche’ angedeutet ist. Widersprüche sind für Luise Rinser nur Schein-Gegensätze, „entstehend aus dem Irrtum, Teilansichten von einer Sache als die Wahrheit über diese Sache zu nehmen’. Auf einer höheren Ebene aber findet eine „Vermählung’, man könnte nicht sagen: eine Versöhnung der Widersprüche statt. Das zu erkennen, ist für die Autorin eine lebenswichtige Aufgabe des Menschen unserer Zeit.

Von diesem Denkschema ausgehend, rückt sie den Einzelproblemen und Krisen zuleibe, mit denen sie dn den Leserbriefen konfrontiert wird. Persönliche Lebenshilfe betreibt sie mit dem gleichen Engagement, das sie in ihrem Buch „Baustelle’ auf die grundsätzliche Auseinandersetzung mit politischen, soziologischen, theologischen und religiösen Fragen aufbrachte.

Es ist gewißt nichts zu sagen gegen die Aufgabe, die Luise Rinser sich in ihren Antwortbriefen stellt

— eine große und gute Aufgabe, an die sie mutig und redlich herangeht. Obwohl die Lebenssicht der Autorin meiner eigenen weitgehend entspricht, war mir doch beim Lesen all dieser gescheiten, eigenwilligen Ger danken manchmal nicht ganz wohl. Es tritt da eine Überlegenheit zutage, die beinahe etwas Aufreizendes hat. Nicht das Was ist angreifbar, sondern wie es gesagt wird

— ein wenig zu glatt und sicher ge- handhabt. Aber das ist ein persönlicher Eindruck. Viele Leser werden gerade diese Überlegenheit und Sicherheit schätzen und brauchen, wenn sie von einem Menschen Antworten auf existentielle Probleme erwarten.

HOCHZEIT DER WIDERSPRÜCHE. Von Luise Rinser. Verlag R. S. Schulz, Percha am Starnberger See. 262 Seiten.

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