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Die Kontinuität der Verwaltung

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Zwischen dem Ausscheiden der alten und dem Amtsantritt der neuen (Koalitions-)Regierung vergeben oft mehrere Monate. Wer regiert bis dahin eigentlich das Land?

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Zwischen dem Ausscheiden der alten und dem Amtsantritt der neuen (Koalitions-)Regierung vergeben oft mehrere Monate. Wer regiert bis dahin eigentlich das Land?

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Man sagt uns Österreichern besondere Fähigkeit zum Provisorischen nach. Vielleicht hat deshalb schon die Verfassung 1919 für die Zeit zwischen der Demission einer Regierung und der Bildung einer neuen Regierung so ausdrücklich für eine provisorische vorgesorgt:

„Bis die neue Staatsregierung gebildet wird, hat der Präsident entweder die scheidende Regierung unter dem Vorsitz des bisherigen Staatskanzlers oder eines

Staatssekretärs mit der einstweiligen Fortführung der Geschäfte zu beauftragen oder leitende Beamte der Staatsämter unter dem Vorsitz eines dieser leitenden Beamten oder eines eigens hiezu bestellten Beamten mit der einstweiligen Leitung der Verwaltung zu betrauen.“

In der Bundesverfassung 1920 heißt es hinsichtlich dieses Provi-sorums im Artikel 71: „Ist die Bundesregierung aus dem Amt geschieden, hat der Bundespräsident bis zur Bildung der neuen Bundesregierung Mitglieder der scheidenden Regierung oder höhere Beamte der Bundesämter mit der Fortführung der Verwaltung und einen von ihnen mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung zu betrauen. Diese Bestimmung wird sinngemäß angewendet, wenn einzelne Mitglieder aus der Bundesregierung ausgeschieden sind.“

Damit macht das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) den Bundespräsidenten zum Garanten der Kontinuität. Er hat dafür voVzu-sorgen, daß die Zuständigkeiten der Bundesregierung stets wahrgenommen werden. Er ist verpflichtet, bis zur Bildung der neuen Regierung Mitglieder der alten (sogenanntes Ubergangskabinett) oder höhere Beamte der Bundesämter (sogenanntes Leiterkabinett) mit der „Fortfuhr rung der Verwaltung“ und einen von ihnen mit dem Vorsitz in der Zwischenregierung zu betrauen.

Das B-VG räumt dem Bundespräsidenten die Wahlfreiheit ein, ein „Leiterkabinett“ oder ein „Ubergangskabinett“ zu bestellen. Der Unterschied dieser beiden Ubergangserscheinungen zwischen zwei „definitiven“ Bundesregierungen liegt im wesentlichen in ihrer Beziehung zu Politik und Parteien.

Während im „Leiterkabinett“ durch höhere Beamte der Bundesämter, zum Beispiel leitende Beamte von Bundesministerien, die Hochbürokratie und das Berufsbeamtentum repräsentiert werden, besteht das „Ubergangs-kabinet.t“ aus wohlbekannten führenden Parteifunktionären und Berufspolitikern.

Es entspricht der politischen Kultur unserer Republik, daß sich hier eine Konventionairegel eingespielt hat, die dem Bundespräsidenten praktisch keine Wahl anheim stellt, sondern ihn „verpflichtet“, die aus dem Amt scheidende alte Regierung zur einstweiligen zu bestellen. Hier ist einmal der Fall gegeben, daß nicht das Neue, Provisorische definitiv wird, sondern das alte Definitive provisorisch.

Für die „definitive“ Regierung ist keine Funktionsperiode bestimmt. Die „provisorische“ fungiert zwischen zwei „definitiven“. Ein Uberblick über die fast vier Dutzend Regierungen unserer Republik ergibt, daß zwischen dem Ausscheiden der alten und dem Amtsantritt der neuen Regierung einige Male mehrere Monate lagen (siehe Kasten „Provisorische Regierungen“). Besonders bei einer solchen Zeitspanne stellt sich die Frage, welche Befugnisse die einstweilige Bundesregierung hat. Darf die Interimsregierung regieren?

Die Bundesverfassung spricht von „Fortführung der Verwaltung“, nicht etwa von „Fortführung der Regierung“. Sie spricht aber auch sonst nicht von „Regierungsgeschäften“, sondern von „Verwaltung“. Wenn im Artikel

69 Absatz 1 B-VG von den „obersten Verwaltungsgeschäften“ die Rede ist, im Artikel 71 B-VG von der „Fortführung der Verwaltung“, so kann dieser Ausdruck wörtlich, systematisch und vom Zweck der Regelung her nur als Ermächtigung der einstweiligen Regierung zur Fortführung der obersten Verwaltungsgeschäfte des Bundes verstanden werden, nicht aber als eine Einschränkung von Zuständigkeiten. Eine solche hätte das B-VG hinsichtlich der einstweiligen Regierung als Ausnahme von der Regel ausdrücklich festlegen müssen.

Hinsichtlich der rechtlich festgelegten Zuständigkeiten gibt es zwischen der provisorischen und der definitiven Regierung keinen Unterschied. In diesem Sinn hat der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis aus dem Jahre 1929 ausgesprochen, daß die mit der Fortführung der Verwaltung betraute Regierung dieselben Befugnisse wie die definitive hat.

Wenngleich die Zuständigkeiten der einstweiligen Bundesregierung dieselben sind wie die der definitiven, so ist doch nicht selbstverständlich, ob die sonstigen Bestimmungen über diese in gleicher Weise für jene gelten.

So bestimmt Artikel 70 Absatz 3 B-VG, daß der Bundespräsident, wenn er eine neue Bundesregierung zu einer Zeit bestellt, in welcher der Nationalrat nicht tagt, den Nationalrat zum Zweck der Vorstellung der neuen Bundesregierung zu einer außerordentlichen Tagung einzuberufen hat, und zwar so, daß der Nationalrat binnen einer Woche zusammentritt.

Diese Vorstellung gipfelt in der Abgabe einer Regierungserklärung und gibt dem Nationalrat die Möglichkeit, der Regierung nach Artikel 74 B-VG durch ausdrückliche Entschließung das Vertrauen zu versagen.

Der Wortlaut des Artikel 70 Absatz 3 B-VG („... eine neue Bundesregierung ... “) spricht hier für eine Einschränkung der Anwendung auf die definitive Bundesregierung. Dazu kommt, daß der Zweck dieser Regelung der Präsentation einer neuen Regierung und eines neuen Regierungsprogramms dient und nicht der Präsentation einer Zwischenregierung, welche mit der Fortführung der Verwaltung betraut worden ist.

Dem könnte allerdings entgegengehalten werden, daß dem Nationalrat jedenfalls die Gelegenheit gegeben werden muß, auch einer Zwischenregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder das Vertrauen zu versagen.

Hinsichtlich einer anderen Regelung hat das B-VG selbst die Anwendung auf die Zwischenregierung außer Streit gestellt: Die Absätze 1 und 2 des Artikel 72 regeln die Angelobung der Mitglieder der Bundesregierung, die Ausfertigung und die Gegenzeichnung der Bestellungsurkunden. Absatz 3 bestimmt ausdrücklich: „Diese Bestimmungen sind auch auf die Fälle des Artikel 71 sinngemäß anzuwenden.“

In dem die rechtliche Verantwortlichkeit regelnden Artikel 76 B-VG heißt es im Absatz 1: „Die Mitglieder der Bundesregierung (Artikel 69 und 71) sind dem Nationalrat gemäß Artikel 142 verantwortlich.“ Durch die Anführung des Artikel 71 ist also außer Streit gestellt, daß auch die Mitglieder der einstweiligen Bundesregierung im Sinne des Artikel 76 verantwortlich sind.

Da eine solche Anführung in Artikel 74 Absatz 1 („Versagt der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche Entschließung das Vertrauen... “) fehlt, könnte daraus geschlossen werden, daß ein Mißtrauensvotum gegen die einstweilige Bundesregierung und ihre Mitglieder nicht möglich ist. Systematische Uber-legungen sprechen aber dafür.

Gemäß Artikel 70 B-VG ernennt der Bundespräsident den Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung. Die Gegenzeichnung erfolgt bei der Ernennung des Kanzlers oder der gesamten Regierung durch den neubestellten Bundeskanzler. Hinsichtlich des Vorschlages und der Gegenzeichnung bei der Bestellung einer einstweiligen Bundesregierung enthält das B-VG keine Regelung.

Wortlaut und Zweck der Regelung, nämlich Raschheit, Einfachheit, Vermeidung der Regierungsvakanz, Vorsorge für die Fortführung der Verwaltung, und das Fehlen einer Regelung wie in Artikel 72 Absatz 3 und Artikel 76 Absatz 1 sprechen dafür, daß Artikel 70 Absatz 1 B-VG bezüglich einer Zwischenregierung nicht gilt.

Systematische Erwägungen werden von manchen für eine analoge Anwendung vorgebracht. Artikel 71 B-VG über die einstweilige Bundesregierung erhielt seine Fassung 1920 und wurde seither nicht verändert.

Damals wurde die Bundesregierung vom Nationalrat in namentlicher Abstimmung auf einen vom Hauptausschuß zu erstattenden Gesamtvorschlag gewählt (Artikel 70 Absatz 1 B-VG in der damaligen Fassung). Diese Bestimmung konnte wegen der klaren Formulierung des Artikel 71 nicht analog angewendet werden.

Da aber schon damals Artikel 67 über die Vorschlags- und Gegenzeichnungsgebundenheit aller Akte des Bundespräsidenten galt, wurde im Kommentar von Kel-sen-Froehlich-Merkl die Auffassung vertreten, daß auch die Berufung einer Zwischenregierung durch den Bundespräsidenten nach Artikel 71, insbesondere die Betrauung der demissionierten Regierung mit der Fortführung der Verwaltung nur auf Antrag der — demissionierten — Regierung selbst erfolgen könne.

Allerdings kann eine des Amtes enthobene Regierung keinen Antrag stellen. Daher muß die noch im Amt befindliche Regierung gleichzeitig mit ihrem Enthebungswunsch ihre Berufung als Zwischenregierung vorschlagen, was wiederum dem Bundespräsidenten die Wahlmöglichkeit zwischen einem Ubergangskabinett und einem Beamtenkabinett beeinträchtigen würde. Daß der Antrag der scheidenden Regierung aber auch die Mitglieder eines Beamtenkabinetts als einstweilige Bundesregierung betreffen könnte, ist nicht anzunehmen.

Im Verfassungskommentar von Kurt Ringhofer, dem Vizepräsidenten des Verfassungsgerichtshofs, heißt es daher lapidar: „Ohne jeglichen Vorschlag obliegt dem Bundespräsidenten jedenfalls ... die Bestellung einer einstweiligen Bundesregierung (Artikel 71 B-VG).“

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und ÖVP-Stadtrat in Wien.

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