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Frühling
Jetzt bin ich das ewige Geraunze von Versteppung und „diesen Winter werden wir noch büßen” endlich leid.
Wissen Sie, was Winter für mich bedeutet? Schneeschaufeln. Da brauche ich Ihnen nur den „Tag danach” zu schildern: Spatzen = Muskelkater im oberen Schultergürtel, die Bauchmuskeln sind einzeln zu orten, die Hände dick.
Jetzt bleibe ich solange hier sitzen und beschreibe den Frühling, bis er kommt. Ich möchte doch zu gerne wissen, wozu ein zivilisierter Mensch heute noch den Winter braucht. Frau Holle war schon alt, als ich noch jung war, trat längst in den Ruhestand. Ihr Posten wurde, wie bei allen Rationalisierungen, durch ein Heer von Schneekanonieren ersetzt. Nicht so märchenhaft, dafür teurer und umweltfeindlich. Unseren Teichen und Seen brauchen keine Eisdecken mehr zu wachsen, denn Schlittschuhlaufen können wir ganzj ährig in Hallen. Ohne Charme, ohne den Kitzel von möglichem Einbruch mit nachfolgender Rettung, dafür mit viel Energieverbrauch.
Die Touristen suchen uns aufgrund uralter Prospekte aus den Jahren Schnee ohnedies heim. Jagt sie hinauf in die Gletscher! Das hält frisch, siehe Ötzi. Auch die Brauereirösser brauchen keine Eisblöcke mehr aus den Felsenkellern zu holen.
Erstens gibt es kaum mehr Rösser, zweitens sinkt der Bierkonsum wegen der heißen Sommer ohnehin, und drittens und viertens haben FCKW-bewährte Kühlgeräte die Eiskeller längst auf Eis gelegt. Nur mir zieht die Ganslhaut auf. Aber ich wollte ja vom Frühling schreiben. Vor Zeiten war damit untrennbar die Liebe verbunden.
Liebe ist... wenn man/frau glaubt, darüber schreiben zu müssen, nur weil der Kalender auf Frühlingsbeginn zusteuert. Obwohl der Streusplit bei jedem Schritt an den letzten Ausrutscher erinnert. Macht nichts. Steht ja schon in der Bibel: der Gerechte fällt...
Ludwig Uhland, ja, der mit den Gedichten zum Auswendiglernen, der hatte noch seinen Frühlingsglauben. „Die linden Lüfte sind erwacht... / Die Welt wird schöner mit jedem Tag, / Man weiß nicht, was noch werden mag...”
Gottfried Kellers Frühlingsglaube ist schon progressiver. Der Herr lebte ja auch eine Generation später. „Das ist das Lied vom Völkerfrieden,/Und von der Menschheit letztem Glück...”
Ich wollte Ihnen doch solange den Frühling beschreiben, bis er kommt. Überfordert. Inzwischen werde ich schneeschaufeln gehen. Folgen: siehe oben.
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