7113899-1996_08_04.jpg
Digital In Arbeit

Heilsamer Vorgang für beide Seiten

Werbung
Werbung
Werbung

dieFurche: Ist der Stephansdom noch ein Ort der Beichte?

Dompfarrer Anton Guber: Der Stephansdom ist aufgrund der Lage in der Innenstadt ein Seelsorgezentrum. So steht von sieben Uhr morgens bis zehn Uhr am Abend ständig ein Priester zur Beichte oder zur Aussprache zur Verfügung. Ingesamt haben wir 35 Beichtpriester. Ich möchte noch mehr Priester aus den Dekanaten in den Beichtdienst an der Bischofskirche miteinbeziehen. Genaue Zahlen darüber, wie unser Angebot angenommen wird, gibt es nicht. Wenn man es schätzt, kommt man auf ungefähr 30.000 Menschen im' Jahr. 15 Prozent davon sind unter 20 Jahre alt. Der Großteil sind sicherlich ältere Leute.

dieFurche: Es heißt, mehr Menschen als in den vergangenen Jahren nehmen die Beichte in Anspruch

Guber: Interessanterweise ja, in den letzten fünf Jahren gab es einen Anstieg von etwa zehn Prozent. Der Stephansdom ist keine Ausnahme. Ich höre auch von anderen Priestern, daß immer mehr Menschen den Wunsch zur Beichte haben. Wir leben in einer Zeit, in der eine gewisse Gleichgültigkeit besteht. Aus dieser Gleichgültigkeit brechen Menschen auf, die eine Orientierung für ihr Leben suchen. Während früher die Gemein-depastoral im Vordergrund stand, müssen wir nun verstärkt eine Indivi-dualseelsorge betreiben. Die Priester sollen keine Manager sein, sondern sich um die Sorgen der einzelnen kümmern. Dabei erwarten jeden Menschen eine entgegengestreckte Hand und ein offenes Ohr. Alles kann und soll ausgesprochen werden. Nicht verurteilend und richtend, sondern helfend und aufrichtend.

dieFurche: Worin besteht der Unterschied zwischen der Beichte und einer Psychotherapie?

Guber: Jeder Mensch weiß um die Abgründe in seinem Herzen. Die Beichte soll zur Versöhnung mit Gott führen. Oft machen Menschen aus unerklärlichen Gründen eine Bekehrung durch. Zwei Drittel der Beichtenden kommen regelmäßig - etwa einmal im Monat - im Sinne einer regelmäßigen seelsorglichen Begleitung. Der Rest sind Menschen, die über den Glauben sprechen wollen oder die nach 30 oder 40 Jahren einen neuen Anfang machen. Ich persönlich habe viele solche Bekehrungen erleben dürfen. Dies gehört zu den schönsten Erfahrungen meines priesterlichen Wirkens. Ich würde daher Priestern raten, die an ihrer eigene Identität zweifeln, sich öfters in den Beichtstuhl zu setzen. Das ist ein heilsamer Vorgang.

Das Gespräch führte

Christian Höller.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung