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Inspiration, was auch immer sie sei, entsteht aus einem fortwährenden ‚Ich weiß nicht‘.“ Diese drei Wörter seien Wisława Szymborska sehr „vertraut und kostbar. Zwar klein, aber mit starken Flügeln“, sagt die am 1. Februar vor zehn Jahren verstorbene Dichterin in ihrer Nobelpreisrede.

Einer Trösterin gleich spricht sie in die Unruhe des Alltags und die Unlösbarkeit aller Fragen. „Ich weiß nicht“, du wunderbarer Anfang eines Überdenkens nach sokratischer Art. Ich weiß nicht, ob ich im Recht bin, muss die Kirche, müssen die Kirchen und die Religionen und alle Institutionen und die Menschen sich fragen. Auch täglich die Frage zulassen, ob die Erde weint oder ob sie manchmal lacht. Ob sie das noch kann.

Und was sie sich denkt über die Menschen. Der Theodizee wird lange schon die Anthropodizee zur Seite gestellt. Der Mensch muss Rede und Antwort stehen zu dem, was geschieht unter der Sonne. „‚Nichts Neues unter der Sonne‘, hast du geschrieben, Prediger. Du selbst aber bist neu unter der Sonne geboren“, sagt Wisława Szymborska zu ihrem Dichtervorbild. Und das Gedicht, das er geschaffen habe, sei auch neu unter der Sonne, denn vor ihm habe es niemand geschrieben. „Und neu sind alle deine Leser unter der Sonne.“

Und du und ich sind neu in dem Versuch, die Welt zu lesen und die Buchstaben für unsere Antwort zu sammeln, die unseren Weltmut in der Zartheit eines Zögerns vor uns selbst bezeugt, in der Zulassung einer Ichferne, der eingestandenen Fremdheit gegenüber unseren Fehlentscheidungen bis hierher.

Und dann wieder – inmitten der Sehnsucht nach Rechtfertigung als dem Ausweg aus dem Krisenrad – werden wir inspiriert wie einmal die Dichterin oder der Kellner oder die Lehrerin oder das Kind oder der Hund oder die Balkonblume: „Wo kommt diese Weite in mir noch her / – ich weiß nicht“.

Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i. R

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