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Keine Anerkennung für Jiddisch

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1909 brachte der Rechtsanwalt Dr. Max Diamant aus Czernowitz beim Reichsgericht in Wien eine Beschwerde ein: Seiner Meinung nach war das Recht der Juden, als gleichberechtigte Nation zu gelten, verletzt worden. Dr. Diamant hatte in Czernowitz einen „Verein Jüdisches Theater“ in jiddischer Sprache und mit hebräischen Schriftzeichen angemeldet, die Behörden hatten ihm das Dokument jedoch unerledigt zurückgegeben.

. Folge dieser Beschwerde war eine Grundsatzdiskussion darüber, ob die Juden ein „Volksstamm“ (die frühere Bezeichnung für Nationalität) seien oder nicht - eine Frage, die bis heute nicht eindeutig geklärt ist. Das Reichsgericht in Wien kam zu dem Schluß, daß die Juden als Religionsgemeinschaft zu behandeln seien und daß das Jiddische, da es nur von einem Teil der österreichischen Juden gesprochen wurde, nicht als Nationalsprache anerkannt werden könne.

Den Hintergrund für die Beschwerde und ihre Ablehnung durch das Wiener Reichsgericht bildete einerseits die verfassungsmäßig garantierte Gleichberechtigung aller österreichischen Nationalitäten und ihrer Sprachen, bei der die Juden nicht mit- einbezogen worden waren, und anderseits die Spannung innerhalb der jüdischen Bevölkerung. Neben den assimilierten Juden der westlichen Kronländer war der Zionismus Theodor Herzls entstanden, aber auch eine jüdischnationale Strömung in Galizien und der Bukowina, die als jüdische Nation mit einer eigenen Sprache, dem Jiddischen, im Rahmen der Monarchie anerkannt . werden wollte.

Das auslösende Ereignis für das Streben nach- nationaler Autonomie für Julien in der Bukowina war der mährische Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen 1905, führte mm Univ.-Prof. Dr. Gerald Stourzh vor einer Tagung des Vereines „österreichisches Jüdisches Museum in Eisenstadt“ aus. Fünf Jahre später kam es auch in der Bukowina zu einem nationalen Ausgleich, bei dem vorgesehen war, auch die Juden, die 13 Prozent der Bevölkerung des Kronlandes ausmachten, als eigene Nationalität anzuerkennen. Diesen einstimmigen Wunsch aller Nationalitäten lehnte die Wiener Regierung mit der alten Begründung ab.

Die Konflikte zwischen den Juden und der Regierung in Wien rissen jedoch nicht ab. Bei der Volkszählung 1910 gaben zahlreiche Juden in Galizien unter der Rubrik Umgangssprache .Jiddisch“ an. Damit machten sie sich strafbar, weil nur die Angabe bestimmter Sprachen zulässig war. Jiddisch war nicht darunter. Es kam erneut zu einer Beschwerde, die abermals abgewiesen wurde: Das Jiddische werde nicht von allen Juden in Österreich gesprochen, sei bestenfalls eine lokale Sprache oder auch nur ein lokaler Dialekt.

Bis auf einige Erfolge in der Bukowina, wo auf Grund (ler Völkervielfalt Toleranz herrschte und ab 1912/13 in Studentenausweisen die Eintragung „jüdische Nationalität“ zugelassen war, blieb der jüdisch-nationalen Bewegung, die schließlich auf Galizien und die Bukowina beschränkt blieb, der E.rfolg versagt, als eigene Nation anerkannt zu werden. In Galizien konnte sich die Bewegung gegenüber dem starken Polonisierungs- druck nicht durchsetzen.

Ebenfalls 1909 waren jedoch auch von prominenten Juden Warnungen vor negativen Folgen einer nationalen Autonomie für die Juden lautgeworden.

Sondergesetze und unfreiwillige Ghettos haben allerdings während des Nationalsozialismus Zionisten ebenso getroffen wie assimilierte Juden.

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