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Kaiser Josef II. als Kolonisator

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Anfangs Oktober 1982 wurden in Kaiserslautern (Rheinpfalz) Gedenktage zur Erinnerung an die vor 200 Jahren begonnene Auswanderung nach österrei- chisch-Galizien abgehalten. Aus elf Ländern hatten sich rund 1200 Nachkommen der damaligen Siedler eingefunden, aus Wien waren sechs Festgäste gekommen.

Von Kaiser Josef II. als Kolonisator des Kronlandes Galizien

und des Herzogtums Bukowina weiß man hierzulande sehr wenig. Da dieses bedeutende Unternehmen vom Wiener Kaiserhof eingeleitet und überwacht wurde, sollten wir Österreicher diese historische Tat nicht vergessen. Der Tod Maria Theresias beendete in den habsburgischen Landen des Deutschen Reiches die Gegenreformation und Leibeigenschaft. Überzeugt, „daß aller Gewissenszwang schädlich und wahre christliche Toleranz für Religion und Staat von großem Nutzen sei“, erließ Josef II. am 13. Oktober 1781 das „Toleranzpatent für Österreich“. Am 1. November 1781 erging das kaiserliche Dekret über die Aufhebung der Leibeigenschaft.

Diese beiden Dokumente bilden den Grundstock für den Erlaß des

„Ansiedlungspatentes“ Kaiser Josefs II. für Galizien. Als Hauptzweck der Kolonisation in Galizien wurde „die Emporbringung der Landeskultur, die Urbarmachung öder Grundstücke, die Verbesserung der Viehzucht und die Ausbildung des sittlichen Charakters der Nationaluntertanen durch die Ansiedler“ genannt.

Im Zuge dreier Kolonisationsphasen waren etwa 8.000 katholische und rund 12.000 evangelische deutsche Ansiedler ins Land gekommen, letztere überwiegend aus der Rheinpfalz. Am 29. März 1784 Unterzeichnete Josef II. ein Dekret, welches auch Mennoniten die Einwanderung nach Galizien gestattete. Sie sollten gleichfalls Lehrmeister der einheimischen Bevölkerung werden.

Auf seinen Reisen nach Galizien „entdeckte“ der Kaiser das Buchenland. Durch geschickte Verhandlungen mit den russischen Armeekommandanten, die das zur Türkei gehörige Land besetzt hatten, konnten österreichische Truppen ohne Widerstand einrücken. Der Hofkriegsrat in Wien faßte auch für dieses unkultivierte Gebiet die Ansiedlung von Deutschen ins Auge.

Trotz der unwirtlichen Verhältnisse haben die Siedler in Galizien und der Bukowina entscheidend zum Aufblühen dieser Gebiete beigetragen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatteisich die Lage der deutschen Gemeinden wirtschaftlich und politisch allerdings wieder so verschlechtert, daß eine erhebliche Auswanderung nach den USA, Kanada, Rußland und nach der preußischen Provinz Posen den Fortbestand der deutschen Volksfeile bedrohte.

Eine Wende brachte der in Leipzig für den Dienst der dänischen Judenmission in Bessarabi- en gewonnene deutsche evangelische Theologe Theodor Zöckler (1867—1949), der auf der Durchreise die desolaten Verhältnisse in Galizien kennenlernte und entgegen seinen ursprünglichen Absichten 48 Jahre lang dort verblieb und segensreich wirkte.

Der Erste Weltkrieg verwandelte Galizien in ein „Land der Gräber und Kreuze“. Zwischen Polen und Ukrainern brach ein neuer Krieg aus, da die in Galizien als Ruthenen bezeichneten Ukrainer nicht in den polnischen Staat eingegliedert werden wollten. In Wien hatte man die einstmals geworbenen deutschen Siedler längst vergessen.

Die in Versailles und St. Germain 1919 geschaffene Ordnung in Osteuropa war mit dem Kriege Deutschlands und der UdSSR gegen Polen im September 1939 zu Ende. Ostgalizien wurde an die Sowjetukraine, Westgalizien an das Generalgouvernement angeschlossen. Mit der zwischen Deutschland und der UdSSR vereinbarten Umsiedlung aller Deutschen östlich des Narew, Bug und

San nach Deutschland im Winter 1939/40 hatten auch die Gemeinden in Ostgalizien zu bestehen aufgehört. Wer zurückblieb, wurde Bürger der UdSSR und später enteignet.

Aber schon mit dem Ausbruch des deutsch-polnischen Krieges am 1. September 19Š9 war das Schicksal aller in Galizien lebenden deutschen Kolonisten entschieden. Viele sind gefallen, auf der Flucht umgekommen, in Internierungslagern gestorben oder erst nach Jahren doch noch nach

dem Westen entkommen. Leider hat Österreich nach 1945 die wenigstens behalten wollen, obwohl ihre Vorfahren vor 200 Jahren freiwillig Untertanen Altösterreichs geworden waren. Es ist zu hoffen, daß ihre weltweite Suche nach einer neuen Heimat endlich ein Ende gefunden hat.

Quellennachweis: „Vor 200 Jahren aus der Pfalz nach Galizien . Redigiert von E. Hobler und R. Mohr. Herausgegeben vom Hilfskomitee der Galiziendeutschen, Stuttgart-Bad Cannstadt 1982.

Univ.-Prof. emerit Karl Hruby war Vorstand der zweiten Universitäts-Augenklinik in Wien. ü L

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