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Brücke des Friedens

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Die Bukowina, das östlichste Kronland der alten Habsburgermonarchie, war infolge seiner nationalen Zusammensetzung ein Österreich im kleinen. In diesem kleinen Land von nur 800.000 Einwohnern gab es sechs Nationen: die Rumänen, Ruthenen, Deutschen, Magyaren, Polen, Armenier. Die Juden bildeten inoffiziell eine siebente, die im Landtag mit einer eigenen nationalen Kurie vertreten war. Es bestanden siebon gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften: die römisch-katholische, griechischkatholische, armenisch-katholische, griechischorthodoxe, armenisch-nichtunierte, protestantische H. B. und die israelitische und drei offizielle Landessprachen: Rumänisch, Ruthenisch, Deutsch. Und drei nichtoffizielle: Polnisch, Magyarisch, Armenisch. Jiddisch war weder eine offzielle noch inoffizielle Landessprache, führte aber ein ähnliches Dasein wie die nationale Kurie der Juden im Landtag. Eingaben konnten an alle Ämter offiziell in den drei Landessprachen gemacht werden, sie wurden in denselben Sprachen erledigt. Inoffiziell konnten aber auch in den inoffiziellen Sprachen Eingaben gemacht werden. Sie wurden ebenso inoffiziell in den gleichen Sprachen erledigt. Denn Polnisch wurde stillschweigend als ein lateinisch geschriebenes Ruthenisch angesehen, Jiddisch als ein schlecht geschriebenes Deutsch, es wurde somit keinerlei Gesetz verletzt. Aber auch durch Annahme magyarischer und armenischer Eingaben wurde kein Gesetz verletzt, sondern höchstens eine Durchführungsverordnung. Denn im Gesetz stand ausdrücklich, in jedem Land dürfen alle landesüblichen Sprachen gebraucht werden, und landesüblich waren zweifellos beide Sprachen.

Die Verwaltung zwang niemand, im Amtsverkehr eine bestimmte Sprache zu gebrauchen. Sie erreichte damit aber etwas anderes: Die Parteien bedienten sich, damit die Verwaltung schnell funktionieren könne, ganz aus eigenem heraus, bei fast allen Eingaben der sogenannten Verkehrssprache. Im Landtag, in dem offziell die offiziellen Landessprachen und nichtoffiziell die niditoffiziellen gesprochen werden durften, bedienten sich alle Abgeordneten nach einem stillschweigenden Übereinkommen der Verhandlungssprache. Die Behörden verkehrten miteinander nur in der inneren Amtsspradie. Die Verwaltung funktionierte reibungslos und unbeschwert von allen nationalen Problemen.

Verhandlungsspradie, Verkehrssprache, innere Amtsspradie — es war immer dieselbe Sprache. Nämlich die deutsche. Aber sie namentlich als Amtssprache zu bezeichnen, war verpönt.

Die deutsche Sprache war durch Jahrhunderte das Verständigungsmittel zwischen den einzelnen Nationen der Habsburgermonarchie. Erst der Versuch, sie ihnen als Zwang aufzuerlegen, hat ihr den Verlust dieser kostbaren Stellung gebracht. Das Sdilimmste tat ihr dann die Politik des Dritten Reiches an. Und doch ist sie nach wie vor eine der großen Sprachen der Welt und ein Verständigungsmittel, das man nicht entbehren kann. So geht man jetzt da und dort den gleichen Weg, den die österreichische Verwaltung in der Bukowina ging: man umschreibt die deutsche Sprache durch ein Pseudonym. So gab die norwegische Unterrichtsverwaltung eine Verordnung heraus, derzufolge an den Mittelschulen der Unterricht in Deutscher Sprache aufzuhören habe, an deren Stelle trete die „öster-reidiische“ Sprache. Audi in Ungarn wird das Wort „Deutsch“ oder „Sdiwäbisch“ vermieden, auch dort sagt man gerne, man bediene sich der „österreichischen“ Sprache. In Prag ist man gar auf eine originelle Lösung * gekommen: an manchen Geschäften prangt die Aufschrift: „Hier spricht man Schwyzer Dütsch.“ Wenn man im Laden dann wirklich Schwyzer Dütsch reden würde, brächte man den Ladeninhaber in Verlegenheit, denn er versteht es nidit. Der Name war nur heute notwendige Verkleidung für die Spradie Goethes. Auch sie „verdankt es dem Führer“...

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