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Polen: Katze aus dem Sack
Seit Montag, dem ominösen 13. Dezember, wird im polnischen Parlament der Antrag auf Aufhebung des Kriegsrechtes behandelt. Verfolgt man die Spur zurück, so kommt man zur „Patriotischen Bewegung für nationale Wiedergeburt" (PRON). Diese hatte am 26. November den Antrag formuliert. Was verbirgt sich hinter dieser Bewegung, diesem geheimnisvollen Kürzel PRON?
Die Entstehung dieser Organisation, mit der Partei- und Regierungschef Wojciech Jaruzelski noch einiges in der politischen Zukunft vor hat, datiert zurück in die düsteren Tage unmittelbar nach der Verhängung des Kriegsrechtes.
Das Militärregime versuchte für sich „spontane" Unterstützung aus dem Volk zu organisieren und forderte die Bürger auf, „Komitees der nationalen Errettung" (OKON) zu bilden.
In der Untergrundpresse des Widerstandes wurden die von Jänner bis März 1982 immer zahlreicher aus dem Boden schießenden „Komitees der nationalen Errettung" zu recht mißtrauisch beobachtet.
Was die Komitees so von sich gaben, war oft genug von pathetischem Schwulst und unfreiwilliger Komik. Ein Beispiel dafür: „Unerschütterlich werden wir die Rechte und Interessen der arbeitenden Bevölkerung von Nidzica verteidigen, alle Erscheinungen des Bösen — wie Korruption, Schwarzmarkt und Bestechung — bekämpfen sowie falsch geparkte Autos entfernen, die Parkanlagen säubern und Abfälle wiederverwerten."
Der erste regionale Zusammenschluß der Komitees erfolgte im Mai 1982 in der Woiwodschaft Pila. Die Zahl der Einzelkomitees umfaßte landesweit bereits 8000, die Gesamtmitgliederzahl wurde mit 100.000 angegeben.
Aus den Berichten der gelenkten Presse unter dem Kriegsrechtregime wurde auch die ideologische Ausrichtung der Komitees immer klarer: Sie sollten „Brük-ken zwischen den Menschen"bauen, „integrätive Kräfte in der Gesellschaft entfalten", „zugunsten der Bürger intervenieren" und „gegen Bürokratismus kämpfen". Harmlos klingende, einsichtige Ziele.
Doch am 20. Juli wurde es klar — die „Komitees der nationalen Errettung" wurden auch öffentlich wieder unter die Fittiche genommen, unter denen sie auch geschlüpft waren: Die Kommunistische Partei und die beiden Blockparteien, die Demokraten und die. Bauernpartei, erklärten, die Komitees sollten in eine gesamtnationale „Patriotische Bewegung für nationale Wiedergeburt" (PRON) zusammengefaßt werden.
Und so geschah es; das Parlament nahm es zur Kenntnis und Vizepremier Rakowski ließ am 26. Juli endgültig die Katze aus dem Sack: „Die Patriotische Bewegung für Nationale Wiedergeburt soll als eine künftige politische Formation gesehen werden, die verschiedene Gruppierungen umschließt und die eines Tages alle anderen bestehenden Gruppierungen in Polen aufsaugen wird."
Das 40köpfige provisorische Nationalkomitee von PRON bietet bis heute eine eher seltsame Mischung von Persönlichkeiten: Neben Filmregisseuren, dem Trainer der Fußballnationalmannschaft, namenlosen Hausfrauen und ehrwürdigen Kriegsveteranen sitzen darin auch die Vertreter der drei Parlamentsparteien, also der Kommunisten, der Demokraten und der Bauernpartei.
Aber auch — und das ist das entscheidende Moment — drei katholische Gruppierungen: Der „Polnische Sozialkatholische Verein" (PZKS), die regimenahe PAX und die „Christlichsoziale Vereinigung" (CHSS).
Obwohl Polens katholische Kirche eine politische Organisation niemals angestrebt hat und auch niemals Priester oder Laien zu kommunistisch dominierten Organisationen delegieren würde, läßt sie doch die Teilnahme von katholischen Laien an PRON zu.
Mit gutem Grund: Es waren die katholischen Gruppen innerhalb von PRON, die sich vehement für einen Appell zur Aufhebung des Kriegsrechtes einsetzten, die eine Freilassung der Internierten und eine Amnestie forderten und schließlich auch mehr Parlamentssitze bei künftigen Parlamentswahlen. (Die Sitzverteilung wird vorher durch Erstellung von Kandidatenlisten festgelegt.)
Wenn die katholischen Gruppierungen innerhalb von PRON schlau und selbstbewußt taktieren, kann vielleicht in der Zukunft jene „Front des nationalen Konsens" in Polen entstehen, die im Spätherbst des Jahres 1981 von Staat, Kirche und „Solidarität" geplant war, aber so tragisch scheiterte.
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