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Songs

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Im Mozartsaal des Konzerthauses sang Roswitha Trexler Lieder und Chansons von Hanns Eisler, Paul Dessau und Kurt Weill. Die junge Sängerin, schlank und blond, in schwarzem Pullover und breiten schwarzen Hosen, wurde in Leipzig als Tochter eines Professors für Kirchenmusik geboren. Schon mit fünf Jahren sang sie im Chor und wurde — das ist gute alte Leipziger Tradition — mit der Musik der alten Meister von Machaut und Dufay bis Bach vertraut. Heute ist sie, auf dem Konzertpodium und bei Schallplattenaufnahmen, eine beliebte Solistin in Oratorien von Schütz und Bach.

Daneben gibt es ein „zweites Geleise“: die moderne Musik mit Werken der Wiener Schule („Pierrot lunaire“ zum Beispiel) sowie mit Liedern und Songs, vornehmlich auf Texte von Bertolt Brecht. — In enger Zusammenarbeit mit ihm haben zunächst Kurt Weill, später Hanns Eisler und Paul Dessau sowohl für Brechts Bühnenwerke Musik geschrieben als auch seine Songtexte und viele seiner Gedichte vertont. Brecht, Weill, Dessau und Eisler sind Altersgenossen, und zwar sind alle in den Jahren 1890 bis 1900 geboren. Und sie waren politisch engagierte Künstler. In dem Bestreben, auf die Massen zu wirken, schufen sie das epische Theater und bildeten auch im Lied einen speziellen Stil aus. Es ist musikalisch ausgeübte Zeit- und Gesellschaftskritik. Obwohl für den Konzertsaal geschrieben, ist diese Kunst gegen dessen Publikum gerichtet: an der „Dreigroschenoper“ delektierte sich Ende der zwanziger Jahre kurz vor seinem Untergang eben jenes Bürgertum, gegen das sowohl Brechts Texte wie auch Weills Musik — eine Parodie der großen Oper — polemisierten.

Diese Lieder und Songs erfordern einen besonderen Stil. Vor kurzem konnte man in einer Fernsehsendung anläßlich von Brechts 75. Geburtstag, die im Frankfurter Schauspielhaus stattfand, hören, daß so renommierte und intelligente Sängerinnen wie Anja Silja, die Milva und Pia Colombo von diesem Stil keine Ahnung haben, da sie die Songs in Opernarien und pseudodramatische Balladen umfunktionierten. Nur Gisela May und, natürlich, Lotte Lenya wußten, was sie sangen.

Roswitha Trexler, die bereits bei einer Eisler-Retrospektive im Rahmen des Steirischen Herbstes 1971 auf sich aufmerksam machte, debütierte vergangene Woche in Wien — leider in einem zu kaum einem Drittel besetzten Saal. Ganz ausgezeichnet war auch ihr Begleiter Roman Ortner, obwohl man sich an Stelle des Klaviers oft ein kleines Instrumentalensemble gewünscht hätte.

Das Programm war reichhaltig und sehr interessant, zumal man mehrere Kompositionen hier zum erstenmal hören konnte. Von Hanns Eisler gab es „Zeitungsausschnitte“ op. 11, Teile aus einer „Enquete“ über die Sünde, Mutter und Vater und den Tod, Lieder aus „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ sowie „Fünf Kinderlieder“. Der sensible, fast volkstümliche, aber stets kunstvoll schreibende Lyriker Eisler zeigte sich am vorteilhaftesten in Brechts „Hollywooder Liederbuch“. Von Paul Dessau gab es nur „Fünf Kinderlieder“. Als Meister der Gattung „Song“ erwies sich wieder einmal Kurt Weill mit den Balladen von der Seeräuberjenny, dem ertrunkenen Mädchen und dem Matrosensong. Letzterer war der Clou des ganzen Abends, auch was den Vortrag betrifft.

Roswitha Trexler ist nicht nur intelligent genug, um diese vielen Lieder und Chansons auswendig zu singen und an einem Abend mehr als 30 Mal die Stimmung zu wechseln, sondern sie besitzt auch einen angenehmen, mittelgroßen, gutausgebildeten Sopran. Und sie macht das alles sehr klug und sympathisch. Ihr kleines, aber aufmerksames und dankbares Publikum applaudierte aufs lebhafteste und erhielt mehrere Zugaben.

PS: Am Mittwoch, dem 28. Februar, um 20 Uhr ist Roswitha Trexler noch einmal zu hören (Kassenhalle des Hauptgebäudes der Zentralsparkasse im 3. Bezirk).

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