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Überraschung in CarnuntuS

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Carnuntum ist immer wieder für eine Sensation gut. Bei den von der Limeskommission und dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten Notgrabungen in der Cana-bae (Lagersiedlung) fanden sich Hinweise auf ein Heiligtum für „Jupiter Heliopo-litanus" und „Venus Victrix", wie sie bisher außerhalb des Libanon nur auf der Insel Delos und in Rom festgestellt werden konnten

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Carnuntum ist immer wieder für eine Sensation gut. Bei den von der Limeskommission und dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten Notgrabungen in der Cana-bae (Lagersiedlung) fanden sich Hinweise auf ein Heiligtum für „Jupiter Heliopo-litanus" und „Venus Victrix", wie sie bisher außerhalb des Libanon nur auf der Insel Delos und in Rom festgestellt werden konnten

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Die sensationelle Entdeckung machte Manfred Kandier vom österreichischen Archäologischen Institut. Er fand nicht nur einen orientalischen Tempelbezirk (2.-3. Jh. n. Chr.), sondern Hinweise dafür, daß es innerhalb dieses Tempelbezirks ein für die ganze römische Provinz Pannoni-en zentrales Heiligtum der Stadtgottheiten von Baalbeck (Helio-polis) gab: Jupiter Heliopolita-nus, der dem semitischen Hadad entspricht, und Venus Victrix, die mit der semitischen Fruchtbarkeitsgöttin Atargatis gleichgesetzt wird.

Als Kandier 1979 auf dem durch Verbauung bedrohten Gelände im Westen von Deutsch-Altenburg das kleine Sandsteinköpfchen einer weiblichen Gottheit mit Blattkröne zutage brachte, ahnte er noch nicht, was ihm da auf die Schaufel gefallen war. Die Antwort lag erst durch die während der letzten, von März bis Oktober 1981 dauernden Kampagne gehobenen Weihinschrift für Jupiter Heliopolitanus auf der Hand. Sie lautet: Das Köpfchen stellt die dem Gott zugeordnete Venus Victrix dar.

Nach Pannonien sind alle orientalischen Kulte—vor allem die des nordsyrischen Jupiter Doliche-nus und des altpersischen Lichtgottes Mithras — durch Kaufleute aus dem Osten und durch Soldaten gekommen. In Carnuntum war es die bis 114 stationierte Le-gio XV Apollinaris, die von 62 bis 72 an den Feldzügen im Orient teilgenommen, dort die Lehren der einheimischen Gottheiten kennengelernt und für verehrungswürdiger gefunden hatte als die der alten Götter aus Hellas und Rom.

Den Tempel von Jupiter Helio-politanus/Venus Victrix hat Kandier noch nicht geortet. Was er nachweisen konnte, das ist die Größe des Tempelbezirks von 100 mal 100 Metern und dessen Mauer sowie eine Reihe von Tempelbauten unterschiedlicher Grundfläche. Nicht zuletzt: eine nur den Anhängern der Orientkulte vorbehaltene Badeanlage.

Uber Initiative des Bürgermeisters von Deutsch-Altenburg soll ein kleiner Streifen Land unverbaut bleiben, damit hier ein Freilichtmuseum mit der restaurierten Badeanlage, dem restaurierten Mithräum, einem 25 mal 13 Meter großen Kultsaal sowie einem weiteren, noch nicht identifizierten Kultbau errichtet werden kann. Unabhängig davon wird auch die von Hofrat Herma Sti-glitz entdeckte, nach wie vor funktionierende römische Wasserleitung mit einem Schutzdach versehen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Diese Wasserleitung gehört zu dem als Flankenschutz für das Legionslager dienenden Reiterlager. Herma Stigjitz vom Osterreichischen Archäologischen Institut hat es (FURCHE 1/1980) während der parallel zu den Notgrabungen Kandlers von der Niederösterreichischen Landesregierung und Forschungsfonds dotierten Kampagnen angeschnitten. Dabei stellte sie zwei Bauperioden fest: eine aus den siebziger Jahren des 1. Jh.s n. Chr. und eine aus der Zeit nach HO.

Das erste Kastell erwies sich als Holz-Erde-Lager, das zweite als Steinlager. 1981 grub die Archäologin das Südtor des Reiterlagers aus der zweiten Bauperiode frei. Es besaß zwei Türme und zwei Durchfahrten mit geschotterter Straße. Außerdem erkannte die Wissenschafterin aufgrund der Grabungssituation, daß das für 480 Kämpfer und mindestens 520 Pferde projektierte Lager nicht durch Kampfhandlungen, sondern durch ein Erdbeben zerstört worden war. Seine relativ gut erhaltenen Gebäude werden wieder mit Erde zugeschüttet, weil hier in wenigen Jahren Siedlungshäuser stehen sollen. Vom Vorhandensein dieser für Österreich einmaligen Kombination von Legionsund Reiterlager werden nur wissenschaftliche Dokumentationen Zeugnis ablegen.

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