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Versuchungen
Von Anfang an war es für die gläubige und die polemische Phantasie ein besonderer Reiz, die Bibel weiterzuschreiben: zum Beispiel für offene Geschichten einen Schluß auszudenken und ganz knapp berichtete Ereignisse auszumalen. Als Matthäus sein Evangelium schrieb', las er im Markusevangelium, das damals bereits fertig war: .JJanach trieb der Geist Jesus in die Wüste. Dort blieb Jesus vierzig Tage lang und wurde vom Satan in Versuchung geführt.“ (Mk lJ2-13a)
Diese Sätze haben Matthäus nicht losgelassen. Was für Versuchungen waren das? Womit konnte wohl der Satan den Gottessohn in Versuchung führen? Und Matthäus, ein profunder Kenner des Lebens Jesu Christi, legt im vierten Kapitel seines Evangeliums eine grandiose Antwort vor. Er zeigt, daß das eigentlich Satanische nicht darin besteht, daß der Satan Jesus zur politischen Zauberei, zum Personenkult und zur Macht verführen will, sondern darin, wie er es macht. Denn alles, was Satan Jesus vorschlägt, leitet er aus dem Faktum von Jesu Gottessohnschaft ab. Und Satan begründet seine teuflische Logik noch dazu mit Bibelsprüchen.
Die große Versuchung, der Jesus also ausgesetzt war, war, wie er die Tatsache, daß er Gottes Sohn sei, in seinem Leben und in seinem Werk konkret gestalten würde. Es ist bekannt, daß Dostojewski den Weg der matthäi-schen Auslegung weitergegangen ist und daß die Kirche seine ^Legende vom Großinquisitor“ als Angriff, Schmähung und Lästerung empfunden hat.
Diese grundlegende Versuchung hat Jesus bis ans i Kreuz begleitet. Nach Matthäus rufen die vorbeigehenden Leute dem Gekreuzigten zu: „Wenn du Gottes Sohn bist, hilf dir selbst und steig herab vom Kreuz.“ (27.40).
Diese letzte Versuchung Jesu Christi, seine Gottessohnschaft sozusagen noch im letzten Augenblick zu verspielen, haben Kazantza-kis und Scorsese dichterisch gestaltet und dabei mehrfach Klischees des Jesusromans der letzten 200 Jahre übernommen. Natürlich besteht daher auch Jesus diese letzte Versuchung.
Peinlich ist dabei nur, daß ihn Kazantzakis in seinem Traum von einem ungefährlichen Leben nicht ein erfülltes Familienleben erleben läßt, sondern eine Spießer-Macho-Existenz. Frauen seien austauschbar, sagt ihm sein satanischer Schutzengel. Womit ja wohl wieder einmal das zölibatäre Leben auf Kosten des Ehelebens gerettet wäre.
Haben das die .frommen Kritiker gar nicht bemerkt? Oder sollte das daran liegen, daß sie Scorseses Film zwar kritisiert, aber nicht angesehen haben?
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