6862959-1977_44_05.jpg
Digital In Arbeit

Will die Gesellschaft keine Kinder mehr?

19451960198020002020

Die Teilnehmer des 31. Ärztekongresses in der Wiener Hofburg horchten auf, als Professor Dr. Hugo Husslein, Präsident der Van-Swieten-Gesellschaft und Vorstand der Zweiten Universitäts-Frauenklinik in Wien, erklärte, daß die negative Einstellung der Bevölkerung zur Fortpflanzung die Ursache des Geburtenrückganges der letzten Jahre sei. Pille und Abortus seien lediglich die Instrumente, deren sich diese negative Tendenz bediene. In einem Gespräch mit der FURCHE präzisierte Professor Husslein seine Erklärungen.

19451960198020002020

Die Teilnehmer des 31. Ärztekongresses in der Wiener Hofburg horchten auf, als Professor Dr. Hugo Husslein, Präsident der Van-Swieten-Gesellschaft und Vorstand der Zweiten Universitäts-Frauenklinik in Wien, erklärte, daß die negative Einstellung der Bevölkerung zur Fortpflanzung die Ursache des Geburtenrückganges der letzten Jahre sei. Pille und Abortus seien lediglich die Instrumente, deren sich diese negative Tendenz bediene. In einem Gespräch mit der FURCHE präzisierte Professor Husslein seine Erklärungen.

Werbung
Werbung
Werbung

Aaf die Frage, seit wann es diese negative Einstellung gebe und durch was sie hervorgerufen worden sei, meinte der Gynäkologe: „Früher konnte der Geburtenrückgang durch negative äußere Einflüsse auf die eheliche Fruchtbarkeit - also durch schlechte wirtschaftliche und politische Verhältnisse und durch Mängel in der medizinischen Versorgung - erklärt werden. Anfang der sechziger Jahre zeichnete sich aber trotz optimaler äußerer Bedingungen ein Geburtenrückgang ab. Hier hat sich plötzlich die Änderung der Einstellung der Bevölkerung zur Fortpflanzungsbereitschaft drastisch gezeigt.” Dr. Husslein führt eine Reihe von Gründen für diese Bewußtseinsänderung an: Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft; die Egozentrik in der ehelichen Partnerschaft; das Überhandnehmen des materiellen Wohlstandes; die Änderung des Rollenbildes der Frau; die kinderfeindliche Gesellschaftsstruktur, vor allem in der Großstadt.

Genauer nach der Änderung des Rollenbildes der Frau gefragt, präzisiert Husslein: „Das Leitbüd der Frau ist heute die berufstätige Frau. Je mehr sie sich emanzipiert, desto geringer wird ihre Bereitschaft, Kinder zu kriegen. Außerdem fühlen sich viele Ehepartner durch Kinder meist in ihrer Lebensentfaltung eingeschränkt, sind nicht mehr bereit, Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit Kindern auf sich zu nehmen.” ‘ “

Die Auswirkungen

Die Medizin habe das Ihre dazu beigetragen, um diese negative Tendenz zu verstärken. „Die PiUe brachte den Umschwung von naiver Fertilität zur geplanten Elternschaft. Früher waren Ehepartner eher bereit, .Versager in Kauf zu nehmen. Was jetzt noch durch den Rost der Empfängnisverhütung durchfallt, wird abgetrieben.”

Die Auswirkung der negativen Einstellung sei nun ein echter Rückgang der biologischen Fruchtbarkeit in der allgemeinen Fruchtbarkeitsziffer: „Während 1963 auf 1000 Frauen noch 92 Lebendgeburten kamen, waren es 1975 nur noch 60, und für 1990 werden 42 Lebendgeburten auf 1000 Frauen prognostiziert.” Die einzige Möglichkeit, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, wäre eine stärkere Bereitschaft der Bevölkerung zur Fortpflanzung. Professor Husslein resignierend: „Leider spricht im Moment nichts dafür.”

Keine Gespräche mehr

Was die Abtreibung betrifft, resümiert der Gynäkologe: „Durch den freien Abortus sind wir so weit gekommen, daß es kein Gespräch mit der schwangeren Frau mehr gibt. Erfährt eine Frau, daß sie schwanger ist, läßt sie im ersten Schock sofort ihr Kind abtreiben, während man sie früher in einem Gespräch vielleicht dazu überreden konnte, ihr Kind zu behalten.”

Auf die Abwehrmaßnahmen gegen diese negative Tendenz angesprochen, erklärt Husslein: „Ich habe kein Rezept, um einen Umschwung herbeizuführen, nur soviel weiß ich sicher: materielle Zuwendungen nützen nichts. Es mag naiv klingen, aber in erster Linie müßte die Liebe zum Kind gefördert werden.” -

Zu den Erklärungen seines Kollegen Primarius Rockenschaub von der Semmelweis-Klinik, der seinen Kreuzzug für die Abtreibung in verschiedenen Vortrags-Veranstaltungen fortführt, weiß Professor Husslein: „Primarius Rockenschaub führt die größte Abtreiberstation in Wien, und er muß sich dazu rechtfertigen. Dazu bedient er sich aber unseriöser, unwissenschaftlicher und unkritischer Argumente.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung