Abrüstung hat Vorrang vor dem Krieg der Sterne

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Die erste Wortmeldung aus Moskau nach der Wahl Obamas war alles andere als herzlich. Mittlerweile haben aber beide Seiten erkannt, dass sie gemeinsame Interessen haben.

Als US-Präsident George W. Bush im Juni 2001 zum ersten Mal mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammengekommen ist, sagte er danach: „Ich habe dem Mann in die Augen gesehen. Ich halte ihn für direkt und vertrauenswürdig. Ich war in der Lage, einen Eindruck von seiner Seele zu gewinnen.“ Acht Jahre später treffen die Nachfolger der beiden Präsidenten zum ersten Mal in Moskau zusammen. Was werden sie in den Augen ihrer Vis-à-vis sehen können, gelten doch sowohl Barack Obama als auch Dmitri Medwedew als die liberalere Variante ihrer Vorgänger?

Medwedew ist 1965 geboren, Obama 1961. Der US-Präsident hat sein erstes halbes Jahr im Amt hinter sich. Medwedew ist Anfang Juli ein Jahr und zwei Monate Hausherr im Kreml. Doch ausgerechnet am Tag nach dem Wahlsieg des US-Demokraten im November letzten Jahres schockierte Medwedew mitten im Freudentaumel mit der Ankündigung, neue Kurzstreckenraketen an der NATO-Grenze zu stationieren. Dieser rauhen Begrüßung ist in der Zwischenzeit ein sehr konstruktives Aufeinanderzugehen gefolgt.

Im April vereinbarten Obama und Medwedew am Rande des G-20-Gipfels in London, die Verhandlungen über einen neuen Vertrag zur atomaren Abrüstung aufnehmen zu wollen. Mit Erfolg: Ein Nachfolgeabkommen des Vertrags zur Verringerung der Strategischen Atomwaffen (START) aus dem Jahr 1991, der im Dezember ausläuft, scheint in greifbarer Nähe. Der russische Staatschef bekräftigte unlängst: „Wir wollen eine nachprüfbare und wirkliche Reduzierung dieser Waffen.“ Dieses Angebot hat er in einem „freundschaftlichen Telefonat“ mit Obama diese Woche erneuert. Daneben gibt es aber auch eine Erklärung des Kremls, in der diese Bereitschaft an ein Entgegenkommen der USA im Streit um das Raketenabwehrsystem in Osteuropa geknüpft wird.

Raketenschirm von Obama ad acta gelegt?

Unter Obama scheinen die USA aber gar nicht mehr so ernsthaft am umstrittenen Raketenschirm zu arbeiten. Die polnisch-amerikanischen Verhandlungen über die Bedingungen für die Stationierung von US-Truppen in Polen sind in einer Sackgasse. Die Amerikaner fürchten, dass das Aufstellen von Patriot-Raketen in der Umgebung von Warschau die Vereinbarungen mit Russland über die Reduktion von Atomraketen zunichte machen könnte. Washington stellt deshalb Bedingungen, welche die polnische Regierung nicht akzeptieren kann, berichtete die polnische Tageszeitung Dziennik.

Polnische Diplomaten stellen in dem Bericht auch die Behauptung auf, dass Washington an einer schnellen Vereinbarung mit Polen überhaupt nicht mehr interessiert sei – und zwar nicht nur, wenn es um die Patriots geht, sondern auch um die Basis für den Raketenschild. Sie deuten vielmehr an, dass Präsident Obama abwarten möchte, bis man mit Russland das Nachfolgeabkommen für den START-Vertrag erzielt habe. Inzwischen werde auch klar sein, ob man es schafft, den Konflikt mit dem Iran friedlich zu lösen. Die Platzierung der US-Truppen in Polen könnte sowohl von Moskau als auch von Teheran als Provokation betrachtet werden, schreibt Dziennik.

Neben der nuklearen Abrüstung scheinen erstmals seit Langem auch Fortschritte in der Verschrottung konventioneller Waffen möglich. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier ermunterte Russlands Führung, die ausgestreckte Hand von Präsident Obama zu ergreifen. Es gebe nun die historische Chance für eine neue Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität von Vancouver bis Wladiwostok: „Zögern oder taktisches Feilschen kann das Fenster der Gelegenheiten schnell wieder schließen.“

Medwedew kommt die Abrüstungdiskussion gar nicht ungelegen, unterstützt sie doch seine in der eigenen Generalität verhasste Radikalreform der maroden russischen Streitkräfte – ein Thema, bei dem er von Vorgänger Putin unterstützt wird. Ansonsten lassen die immer selteneren gemeinsamen Auftritte von Putin und Medwedew Spekulationen über Unstimmigkeiten ins Kraut schießen. „Ein Krieg der Apparate hat begonnen“, behauptet das Moskauer Magazin Russki Newsweek. Ein Putin-Sprecher dementierte: Auch in schweren Zeiten sei das Verhältnis „eng und stark“.

Doch der „Präsident auf Probe“ scheint sich mehr und mehr von seinem Ziehvater zu emanzipieren: Im Gegensatz zu Putin spricht Medwedew mit regierungskritischen Medien und bei der Bürgermeisterwahl in Sotschi ließ er einen scharfen Kreml-Kritiker antreten. Alexander Lebedew, Oligarch mit Polit-Ambitionen, meint, dass Medwedew zwar erste liberale Zeichen gesetzt habe, die Macht aber weiter bei Putin angesiedelt sei. Die Souvenirhändler auf Moskaus Touristenmeile Alter Arbat sehen das genauso: Für 100 Rubel (2,20 Euro) pro Stück verkaufen sie Kühlschrank-Magneten mit dem Foto Putins. Er in Pilotenmontur im Cockpit eines Jets. Darunter das „Terminator“-Zitat von Hollywoodstar Arnold Schwarzenegger: „I’ll be back“ – „Ich komme wieder“. (wm)

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