In den Mänteln der Friedenstaube

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Die Entspannungssignale zwischen der NATO und Russland in Osteuropa sind reine Fassade. Militärisch und Medial wird der Konflikt um die Ukraine immer intensiver geführt.

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Die Entspannungssignale zwischen der NATO und Russland in Osteuropa sind reine Fassade. Militärisch und Medial wird der Konflikt um die Ukraine immer intensiver geführt.

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Es gibt auf englischen Universitäten ein Spiel der Rhetorik, in dem der Student die Aufgabe hat, zu einem bestimmten Thema zunächst die eine Extremposition zu vertreten und dann mit der gleichen Verve die Gegenposition einzunehmen. Heraus käme dabei eine bestimmte Form der Politik, die man als ausgewogen bezeichnen könnte. Russland und die NATO haben - aus natürlichem Talent oder durch eine intensive Schulung der Redekunst ihrer Präsidenten und Generalsekretäre - eine nicht unähnliche Gabe. Sie können das eine sagen und gleichzeitig mit dem nämlichen Satz das Gegenteil meinen und tun.

Am Dienstag erschien in der deutschen Bildzeitung ein Interview mit Russlands Präsident Wladimir Putin, aus dem nach offizieller Lesart hervorging, dass Putin einen engeren Kontakt mit dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis NATO anstrebe. Das Zitat lautet: "Russland würde gern wieder mit der NATO zusammenarbeiten, Gründe und Gelegenheiten gäbe es genug."

Der Scheinfriedenswille

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg scheint das nicht unähnlich zu sehen. Im Dezember vergangenen Jahres nahm er auf die Möglichkeiten des Dialogs und der "offenen Kanäle" Bezug, die in kurzer Frist zu einem neuen Dialog zwischen Moskau und Brüssel führen könnten. "Ich werde sehen, wie wir das NATO-Russland-Council als ein Instrument für politischen Kontakt nutzen können. Wir haben niemals beschlossen, das nicht zu tun." Es könne bald wieder zu einem Treffen auf dieser Ebene kommen.

Wer solche Zeilen liest, würde sofort ein diplomatisches Tauwetter vermuten. Doch die Realität sieht keine Änderung der Eiszeit und müsste die Wortmeldungen als glatte Zynismen und Drohungen an die Gegenseite auffassen.

Denn zum Verhandlungstisch würde, wenn schon, dann bloß mit einem ganzen Arsenal an gegenseitigen Vorwürfen und feindlichen Aktionen geschritten werden. Dabei werden nicht nur haltlose Vorwürfe an die Gegenseite verhandelt, sondern zumeist tatsächliche militärische und propagandistische Drohgebärden.

Zunächst geht es da um die Aufrüstung beider Seiten in Osteuropa und eine massive Verstärkung der Präsenz im Schwarzen Meer. Die NATO-Staaten haben dabei seit vergangenem Juni ihre personellen Kapazitäten in der Region verdreifacht. 40.000 Soldaten der schnellen Eingreiftruppe stehen nun in der Region bereit oder sind einsatzbereit und werden in Manövern und Übungen vorbereitet. Hinter den Einsatznamen "Saber Strike","Fearless Guardian",

"Steadfast Javeline" und "Arctic Challenge", kamen in den vergangenen Monaten Tausende Soldaten und Gerät aller Truppengattungen in der Nähe der russischen Grenze zum Einsatz, von der Air Force über die Luftabwehr bis zur Marine und zuletzt Marinelandetruppen. Allein die Übung "Fearless Guardian" in der Ukraine dauert rund neun Monate. Statt vier Manövern und Übungen des Verteidigungsbündnisses im Jahr 2014 gab es 2015 schon 10.

Die russischen Streitkräfte haben schon mit der neuen von Putin verordneten Militärdoktrin mit einer massiven Aufrüstung ihres Militärs begonnen. Nach Darstellung der USA hat Moskau im vergangenen Jahr 40 ballistische Interkontinentalraketen seinem Arsenal hinzugefügt und zahlreiche Tupolew-Tu-22M3-Überschall-Langstreckenbomber auf die annektierte Halbinsel Krim verlegt. Außerdem änderte Russland seine Militärstrategie für die Marine um den Punkt "die Infrastruktur auf der Halbinsel Krim weiter auszubauen", um so dem "unakzeptablen Vordringen der NATO Richtung der russischen Grenzen" entgegenzuwirken. Dmitri Rogozin, Russlands Vizepremier, rechtfertigt auch das Vorrücken und die Verstärkung der russischen Kräfte in der Polarregion als "gerechtfertigt durch die Ostexpansion der NATO".

Kein Frieden im Netz

Neben der militärischen Dimension tobt der Krieg der Propagandisten schon seit Ausbruch der Ukraine-Krise. Im Internetauftritt der NATO findet man unter der Rubrik NATO-Russland keine Friedensangebote, sondern einen ganzen Katalog mit Entgegnungen auf russische Vorwürfe sowie Material, das den Aufmarsch russischer Truppen in der Ostukraine zeigt.

Russland sammelte neben der herkömmlichen Propaganda zuletzt intensiv Intellektuelle von US-Eliteuniversitäten, die die Darstellung Moskaus unterstützen.

Paul Craig Roberts etwa ist ein Ökonom, der ehemals beim US-Finanzministerium gearbeitet hat und nun die globale Politik für sich entdeckt hat. In einem Interview mit dem russischen Nachrichtenportal Sputnik sagt er: "Die USA wollen Russland in die Knie zwingen und unterjochen. "Ich werde immer gefragt, was Washington und Moskau tun könnten, um die Situation zu deeskalieren. Das ist eine unsinnige Frage. Washington hat nicht die geringste Absicht zu deeskalieren." Wladimir Putin scheint solche Aussagen sehr genau zu studieren. Denn seine eigene Analyse lautet wie folgt: "Die USA wollten alleine auf dem europäischen Thron sitzen." Und so endet schließlich auch die scheinbar ausgestreckte Hand des Präsidenten in globalpolitischer Beziehungsunlust: "Eine glückliche Liebe ist nur eine, die erwidert wird. Wenn man nicht zusammenarbeiten will, na bitte, dann eben nicht."

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