Statt Ruhrpott "InnovationCity“

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Einst war das Land zwischen Ruhr und Rhein ein schmutziges Reich der Schwerindustrie. Nun regieren moderne Architektur und Lebensqualität.

"Die Schließung des Stahlwerks Rheinhausen wurde zum Synonym für den Strukturwandel“, sagt der erst seit wenigen Monaten im Amt befindliche Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Garrelt Duin. "Tausende gingen 1987 auf die Straße, ganz Deutschland nahm teil am Schicksal des Standorts.“ Heute arbeiten wieder 4000 Menschen am Logistikstandort in Duisburg-Rheinhausen, "mehr als in der Schlussphase“ des Stahlwerks, sagt Duin.

Das letzte Vierteljahrhundert war ein hartes für den auf Kohle und Stahl konzentrierten Ruhrpott. 2018 wird die letzte Zeche stillgelegt. 1957 arbeiteten 470.00 Menschen im Kohlebergbau (2007: 34.000), 300.000 in der Stahlproduktion (2007: 57.000). Krupp war in Essen daheim, Thyssen in Duisburg und Hoesch in Dortmund. Mit der Zeit fusionierten die Stahlgiganten, um die Jahrtausendwende wurde ein Werk nach dem anderen stillgelegt.

Doch das Ruhrgebiet ist dabei, sich eine neue Bestimmung zu geben. Mit 5,2 Millionen Menschen ist die Agglomeration die einzige Metropole auf dem europäischen Festland. Als solche hat sie sich auch 2010 präsentiert, denn damals war Essen nur nominell Kulturhauptstadt des Jahres, tatsächlich waren es alle 53 Gemeinden des Ruhrgebiets.

Es war eine Gelegenheit zu zeigen, dass es nicht mehr jene Region ist, wo dunkle Wolken keinen Sonnenschein erkennen lassen, wo es stinkt und die vor dem Fenster hängende Wäsche im Nu von einem rußig-schwarzen Film überzogen ist. Der Ruhrpott hat sich zur Kreativlandschaft gewandelt, die Aufbruchsstimmung vermittelt.

Landschaftspark statt Kloake

Wer heute durchs Ruhrgebiet fährt, wundert sich über den sichtbaren Widerspruch zum Klischee: Aufgelockerte Städte, die zwar aufgrund der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg kaum historische Innenstädte aufweisen, aber locker gebaut sind, fließend ineinander überzugehen scheinen, wo Grün dominiert. Einer der drei Hauptflüsse im Ruhrgebiet, die Emscher, wird vom einst toten Gewässer, einer Kloake, in die alle Abwässer geleitet wurden, bis 2014 wiederbelebt und in einen Landschaftspark umgewandelt.

Ehemalige Industriegebiete mutieren zu begehrten Wohnarealen, etwa der Duisburger Innenhafen. Sir Norman Foster entwickelte einen neuen Stadtteil am Wasser: Die alte Getreidemühle ist heute ein Museum und benachbart zu fantasievollen Wohnbauten. Ähnlich der Phoenixsee in Dortmund: Als vor mehr als einem Jahrzehnt die Stahlproduktion aufgegeben wurde, entstanden auf jeweils 100 Hektar ein Technologiepark und ein Wohngebiet. Dort wurde ein See ausgehoben, der die größte Stadt des Ruhrgebiets nach allgemeiner Einschätzung zu einer "schönen Stadt“ macht. An den Berghängen des Aushubmaterials reihen sich schicke Einfamilienhäuser aneinander, am Ufer bewegen sich unterschiedlich rasch Jogger, Radler, Familien und Walker, auch wenn sich nebenan noch Baukräne drehen und Sägen kreischen.

Kultur in der Maschinenhalle

Dortmund hat ein Wahrzeichen und definiert sich ab sofort nicht mehr nur über Fußball und Bier. Rund um das ehemalige Stahlwerk erstreckt sich ein problematischer Stadtteil, der See soll ihn aufwerten. Auch anderswo öffnen sich einst verbotene Städte der Schwerindustrie: In Bochum, der Stadt von Grönemeyer und Opel, ist es die Kultur, die in die Gebläse-Maschinenhalle eingezogen ist und sie zur Jahrhunderthalle für das alljährliche Festival Ruhrtriennale gemacht hat - unmittelbar benachbart zu den restlichen Werksanlagen des "Bochumer Vereins“, wo weiterhin Radreifen für den ICE hergestellt werden.

Die Zeche Zollverein in Essen, die einst größte Zeche des Ruhrgebiets, hat schon frühzeitig den Wandel zum neuen Leben geschafft. Mit 100 Hektar ist sie größer als die Essener Innenstadt und wurde 1986 stillgelegt. Mitte der 90er-Jahre machte der niederländische Architekt Rem Kohlhaas einen Masterplan für die Anlage, in der früher mehr als 12.000 Tonnen Steinkohle täglich verarbeitet wurden. 2001 wurde Zeche Zollverein Weltkulturerbe. Inzwischen führt eine orange leuchtende Rolltreppe ins alte Gemäuer, das Museum und Veranstaltungsort geworden ist. Sein Casino gilt heute als international beachtetes Restaurant.

Nun soll die Folkwang-Universität der Künste auf dem Areal angesiedelt werden, ein Hotel entstehen. Rund 160 Unternehmen der Kreativwirtschaft haben sich rundherum niedergelassen. 2009 kamen 900.000 Touristen hierher, im vorigen Jahr waren es bereits 1,5 Millionen. 6000 Arbeitsplätze wurden in der Zeche Zollverein bis jetzt geschaffen, der Stand von früher ist erreicht.

Vivawest, der drittgrößte Wohnungsanbieter in Deutschland, hat sich als Unternehmenssitz ebenfalls eine stillgelegte Zeche, Nordstern in Gelsenkirchen, ausgesucht, um 50 Millionen Euro für seine Büros adaptiert und auf das Dach des Förderturms einen riesigen Herkules von Markus Lüpertz platziert. Vivawest gibt mehr als einer Viertelmillion Menschen ein Zuhause. "Wir werden älter, bunter, weniger und ärmer“, umreißt Geschäftsführer Robert Schmidt die Probleme der Zukunft. Da in Nordrhein-Westfalen jeder vierte Einwohner einen Migrationshintergrund hat, verwundert es nicht, dass Vivawest auf seinen Grundstücken auch Moscheen baut. Die großen Herausforderungen sind für Schmidt allerdings die Energiekosten und die Demografie. "Wir wissen ja heute schon, wie viele Menschen in 20 Jahren eine Wohnung brauchen werden.“ Die Single-Haushalte von Jungen und Alten nehmen zu. Stadt-Um- und -Rückbau, wie nach der Wende im Osten Deutschlands, werde auch auf den Westen zukommen.

Zeugen der Vergangenheit

Noch ist im Ruhrgebiet mit rund elf Prozent die Arbeitslosigkeit hoch, noch sind die steinernen Zeugen vergangener Zeiten allgegenwärtig: Der Gasometer Oberhausen als Veranstaltungsobjekt, das inzwischen begehrte Wohnviertel Margarethenhöhe in Essen, das Margarethe Krupp als arbeiterfreundliche Siedlung gestiftet hatte, die Villa Hügel als ehemaliger Firmensitz der Krupps, überwachsene Abraumhalden, verstaubte Fabrikhallen.

Doch wo es hingehen könnte, zeigt ein ausgewählter Stadtteil von Bottrop: Im Modell "InnovationCity“ werden mehr als 100 zukunftsträchtige Einzelprojekte umgesetzt: So soll Biomasse durch Algen in warmem Grubenwasser erzeugt werden, Autos, Busse und Scooter verschreiben sich der e-Mobilität, und die 14.474 Gebäude im Stadtviertel sollen möglichst zahlreich wärmesaniert werden. 2020 will der Modellbezirk um die Hälfte weniger CO2 verbrauchen als bisher. "Das Ruhrgebiet hat den Wandel hervorragend geschafft vom Kohle- und Stahlrevier zur Dienstleistungsgesellschaft mit industriellem Kern“, sagt Wohnungsmanager Schmidt.

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