Das Erbe von Cochabamba

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Internationale Konzerne können wegen Geschäften, die von der Zivilbevölkerung abgelehnt werden, klagen. Das kann Milliarden-Zahlungen zur Folge haben.

Die Kunst des wirtschaftlichen Handelns besteht darin, aus allem ein Geschäft zu machen, sogar aus dem Verlust. Das hat der amerikanische Autopionier Henry Ford gesagt, und auch noch 90 Jahre nach seinem Wirken tut die Lehre ihre Wirkung. Etwa wenn ein Konzern ein Geschäft mit einem Staat macht und dieser Staat es sich dann anders überlegt? Schadensersatz ist dann das Schlagwort - und es ist ein Milliardengeschäft - für die Konzerne, die sich das auch leisten können. Doch damit kommen sie immer mehr auch in Konflikt mit der Zivilgesellschaft.

So verklagte das kanadische Unternehmen Infinito Gold die Regierung von Costa Rica im Oktober vor dem ICSID zu einem Schadensersatz von 1 Milliarde US-Dollar, weil diese - nach heftigen Protesten der ansässigen Bevölkerung wegen der Umweltverschmutzung - dem Konzern die Konzession zur Ausbeutung einer Goldmine entzogen hatte. Man rechnet mit einer Verfahrensdauer von drei Jahren.

Der Wasserkrieg

Der später berühmt gewordene "Wasseraufstand“ oder "Wasserkrieg“ von Cochabamba, der drittgrößten Stadt Boliviens, gilt als Musterbeispiel der Politik multinationaler Unternehmen gegenüber Staaten, die es wagen, die sozialen Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger über die Interessen ausländischer Investoren zu stellen. Oder die durch den Widerstand der Bevölkerung gezwungen werden, ihre neoliberale Privatisierungspolitik zu revidieren, wie im Fall von Bolivien im Jahr 2000. 1999 erließ die Regierung ein Gesetz zur Privatisierung des Wassersektors. Noch im selben Jahr schloss ein Firmenkonsortium mit dem Namen "Aguas de Tunari“, dem u. a. der US-Baukonzern Bechtel und das italienische Energie-Unternehmen Edison angehörten, einen Vertrag mit der Regierung. Dieser beinhaltete auch eine Enteignung kommunaler Brunnen. Die Wassergebühren stiegen stufenweise bis auf das Zweieinhalbfache an.

Im April 2000 kündigte die Regierung nach heftigen Protesten den Vertrag mit Aguas de Tunari. Bechtel verklagte darauf die bolivianische Regierung vor dem Internationalen Schiedsgericht zu Investitionsstreitigkeiten (ICSID) auf eine Schadensersatzzahlung von 25 Millionen Dollar.

Auf Grund einer breiten internationalen Solidaritätsbewegung zog der Konzern 2006 die Klage wieder zurück und gab sich mit einer symbolischen Zahlung von 50 Cent zufrieden.

Der Fall Cochabamba war so etwas wie ein Fanal für ausländische Unternehmen und Investoren, im Fall von erlittenen oder vermeintlichen Verlusten durch nationalstaatliche Maßnahmen die entsprechenden Regierungen zu klagen.

Das bekannteste Instrument des Investitionsschutzes, das ICSID (International Center for the Settlement of Investment Disputes), ist eine der Weltbankgruppe angehörende Organisation, die 1965 ins Leben gerufen wurde.

Es handelt sich dabei nicht um einen internationalen Gerichtshof, sondern - zumindest theoretisch - um eine neutrale Institution, die bei Investitionsstreitfällen Schlichtungs- und Mediationsverfahren fördern soll. Dennoch muss ihr Schiedsspruch vom betroffenen Land unmittelbar umgesetzt werden. Die Verfahren sind vertraulich und werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt; Berufungsmöglichkeiten gibt es nicht.

Neben dem in New York bei der Weltbank ansässigen ICSID sind die "Bilateralen Investitionsschutzabkommen“ (BITs) die wichtigsten Instrumente bei Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten, die in der Regel zwischen Industrie- und Entwicklungs- bzw. Schwellenländern geschlossen werden.

Der malaysische Ökonom, Journalist und NGO-Aktivist Martin Khor nennt sie das "problematischste und abscheulichste Rechtssystem der Welt“, das den Ländern des Südens Milliarden von Dollar kostet. Im Fall von Enteignungen oder "gewinnschädigenden“ Maßnahmen können die Unternehmen auch die in der Zukunft erwarteten Profite in das Entschädigungsvolumen einrechnen.

Schutz oder Mittel der Raffsucht?

Der Investitionsschutz für ausländische Unternehmen spielt auch eine wichtige Rolle in internationalen Freihandelsabkommen wie NAFTA und MERCOSUR oder zwischen der EU und anderen Staaten oder Wirtschaftsräumen.

Eine Vorstellung von der "Neutralität“ dieser Schiedsgerichtsverfahren gibt die Zusammensetzung der damit befassten Personen. Zwei europäische Nichtregierungsorganisationen, das Transnational Institute aus Amsterdam und das Corporate Europe Observatory aus Brüssel haben kürzlich die Studie "Profiting from Injustice“ erstellt. Demnach wurden 55 Prozent der im ICSID behandelten Fälle von 15 Richtern, allesamt aus Europa, den USA oder Kanada, entschieden. Diese urteilen deutlich zugunsten der klagenden Investoren; mehrere von ihnen waren früher Vorstandsmitglieder multinationaler Konzerne. Im Interesse des "Investitionsschutzes“ werden ganze Politikbereiche, wie etwa die Wasserversorgung, der Gesundheits- oder Transportsektor, den Profitinteressen der Konzerne unterworfen.

Deutschland ist der Staat mit den weltweit meisten Investitionsabkommen (ca. 140), Österreich hat über 60 solcher Verträge geschlossen, von Ägypten und Äthiopien bis Kuba und bis Tadschikistan.

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