7059580-1991_30_16.jpg
Digital In Arbeit

Die Telephonitis

Werbung
Werbung
Werbung

Vor langer Zeit - das Telephon und ich waren noch ziemlich neu - sollte ich den Laufburschen Glatzkopf in einer geschäftlichen Sache anrufen. Ich wählte. Die Nummer war besetzt wie Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber damals wußte ich noch nicht, daß so etwas lange dauert. Nach Jahren hartnäckigen Anrufens meldete sich eine weibliche Frauenstimme. Ich verlangte Herrn Glatzkopf. „Herr Abteilungsleiter Glatzkopf spricht. Wollen Sie warten, oder rufen Sie später wieder an?" „Danke, ich warte später." Das war im Jahre 1960. 71 oder 72 rief ich wieder an. „Ist bitte der Herr Abteilungsleiter schon frei?" „Der Herr Prokurist ist außer Haus." Das nächste Mal war er außer sich. Dann bei Tisch und bei Stuhl. Schon zu Bett gegangen. Hat daselbst eine Konferenz. Unabkömmlich. Unbekömmlich. Unausstehlich.

Ich gab nicht auf. Ein neuer Spaß war hinzugekommen: die Bitte-war-ten-Ära war angebrochen, via Mono-tonband: „Zugauskunft, bitte warten... Rathaus, bitte warten... Gehaltserhöhung, bitte warten... Karriere, bitte warten..."

Kaum ein halbes Jahr war die Donau hinuntergeflossen, da bekam ich eine Verbindung. Allerdings eine falsche, was ich nicht merkte. Ich verlangte Herrn Glatzkopf. „Herrn Ratzekahl?" piepste es zurück. „Nein, Glatzkopf!" beharrte ich. „Bitte buchstabieren Sie!" „G wie Gustav, L wie Ludwig,

A wie Anna, T wie Tilde..." „Wie bitte - Hilde?" „Nein, nicht Hilde -Tilde! Wie Klothilde ohne Klo!" „Könnten sie den letzten Namen buchstabieren?" „Tilde - T wie Theodor; verstehen Sie? Theodor! T wie der zweite Teil von Maria Theresia, H wie Hans, E wie Erika..." „Ah, Sie suchen das Fräulein Erika? Die ist heute nicht da!" Knacks, aufgehängt.

Trotz meines hohen Alters ließ ich mich nicht entmutigen. Ich telepho-nierte emsig weiter, Tag und Nacht, sogar im Traum. Im Alptraum. Ich hörte ein Stimmengewirr: „Fräulein, ich möchte ein Inserat aufgeben. Ich möchte die Hoffnung aufgeben. Ich verbinde. Ich übergebe. Ich übergebe mich. Hallo, ich möchte eine Störung anmelden. Um was für eine Störung handelt es sich? Um eine Verdauens-störung. Bedaure, ich bin nur für Ehestörung zuständig. Hallo, nehmen Sie telephonisch Kartenbestellungen entgegen? Ja? Dann möchte ich eine Pik acht bestellen, dann einen Karo Bub und zwei Jolly Joker. Aber nebeneinander bitte!"

Am folgenden Morgen klappte endlich die Verbindung. Ich erfuhr von Glatzkopfs Firma, daß der Herr Generaldirektor in Pension gegangen sei und dieselbe auf einer Südseeinsel genieße. Ich brauchte sechzig Schrecksekunden, dann röchelte ich in den Apparat: „Fräulein, um Gottes willen, verbinden sie mich!" Auf die Frage „Mit wem denn?" erwiderte ich: „Mit einem Schnellverband - ich habe die Telephonzelle kurz und klein geschlagen!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung