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Provisorium

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Uns Österreichern wird vor- geworfen, daß wir ausschließ- lich in Provisorien denken - und leben. Nichts hat zwischen Bregenz und Rust so sehr Be- stand wie etwas, das als Provi- sorium, nur für „zwischen- durch", nur vorübergehend und für kurze Zeit eingerichtet wurde.

Aber unsere deutschen Nach- barn haben offensichtlich auch so manchen österreichischen Zug in ihrer preußischen Na- tur, denn gar so einstimmig wollen sie ihr Bundesproviso- rium am Rhein südlich der heiligen Römerstadt Köln nicht aufgeben.

Bonn, bis zur Entdeckung als Bundeshauptdorf nur Einge- weihten als Geburtsstadt Beet- hovens und Studienort Mar- xens bekannt, ist anerkannter- maßen so ziemlich der am wenigsten geeignete Platz für eine politische und wirtschaft- liche Metropole.

Angeordnet wie ein süd- niederösterreichisches Strüs- sendorf und eingezwängt zwi- schen Rhein und Eisenbahn, ur- sprünglich bar jeder Infra- struktur, hat es Konrad Ade- nauer wohl deshalb gewählt, damit jedermann zu jeder Zeit auch merke, daß es sich nur um ein Provisorium handeln kön- ne.

Und in der Tat stand nie zur Debatte, daß Berlin eines fer- nen Tages wiederum die Haupt- stadt Deutschlands werden solle, wenn, ja wenn nur die beiden deutschen Staaten wie- derein gemeinsamer geworden wäre.

Über endlose Hauptstadt- Debatten, die aus vielerlei Gründen immer wieder verzö- gert werden, wissen unsere Freunde und Freundinnen in Niederösterreich ja bestens Bescheid. Aber was dem blau- gelben Landes-Ludwig schon vor einigen Jahren gelang, das steht den Deutschen in Ost und West erst bevor: einem Land eine Hauptstadt zu verpassen, wo keine (mehr) gewesen ist.

Für Berlin sprechen seine, allerdings gar nicht so lange, Geschichte, der zentrale Stand- ort sowie die Tatsache, daß Berlin eben schon Hauptstadt (der „DDR") ist. Gegen Berlin spricht der Umstand, daß es Bonn gibt, mit all seinen Mög- lichkeiten und Gewohnheiten, sowie eben die Tatsache, daß es schon Hauptstadt (der Bundes- republik) ist.

In einer Blitzumfrage haben sich dieser Tage etwa 60 Pro- zentfür Berlin und 40 Prozent der befragten Normalbürgerfür Bonn als Gesamthauptstadt ausgesprochen.

Auch die Politiker sind un- entschieden. Ob dies vielleicht etwas mit (Partei-)Politik zu tun hat?

Bundesbonn ist fest in der Hand der CDU, Gesamtberlin wird aber, wenn nicht alles täuscht, bis ins nächste Jahr- hundert „rot" sein. Aber das sind Hamburg, Hannover, Frankfurt - und München -ja auch.

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