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„Wolken von Rauch..

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Die Umweltverschmutzung im Westen veranlaßte die „Literaturnaja Gazeta“ bereits 1967 zu der Feststellung, in einer Reihe von kapitalistischen Ländern habe dieses Problem „die Dimensionen einer Naturkatastrophe“ erreicht. Das sowjetische Literaturblatt fügte hinzu: „Natürlich würde unser Staat niemals einen derartigen Lauf der Dinge zulassen!“

Heute ist es so, daß wenigstens die Umweltverschmutzung ein Gebiet darstellt, auf dem die UdSSR drauf und dran ist, die USA zu überholen. Das Problem wächst lawinenhaft, fast unbeeinflußt von den Bemühungen sowjetischer Planer mit ihrer Pflichtenkollision, denn sie müssen Produktionsziele setzen und gleichzeitig gegen die Umweltverschmutzung ankämpfen. In der Regel wird letzteres dem ersteren geopfert.

Die meisten westlichen Beobachter in Moskau sind der Ansicht, daß die Sowjetunion bis 1980 hinsichtlich des Umweltschutzes gegenüber anderen Industrieländern hoffnungslos ins Hintertreffen geraten sein whd. Es handelt sich dabei in der Sowjetunion um kein tabuiertes Thema, und man konnte, ebenfalls in der Literatumaja Gazeta, auch von der Luftverschmutzung im eigenen Lande lesen: „Wolken von Rauch und giftigen Gasen hängen über den Wohnbezirken fast aller peripheren Industriegebiete… und übersteigen die gestatteten Normen bei weitem.“ Das Blatt fügte hinzu: „Die Konzentration schädlicher Stoffe in der Luft, sogar in den Industriestädten der Moskauer Region, geht weit über die gesundheitlichen Normen hinaus. Sogar die Kurorte sind von dieser Plage betroffen.“

Die Wasserverschmutzung ist in der UdSSR ein noch ernsteres Problem, denn sie wirkt sich auch in ländlichen Gegenden aus und führt zu einer verheerenden Dezimierung des Fischbestandes, Fische gehören aber zu den Hauptnahrungsmitteln der sowjetischen Bevölkerung. Bereits vor zwei Jahren berichtete „Der Baku-Arbeiter“, daß der Ministerrat die Planungskommission der russischen Teilrepublik angewiesen habe, „Vorschläge für die Verhütung der alarmierenden Verschmutzung des Kaspischen Meeres sowie der Flüsse Wolga und Ural und deren Nebenflüsse zu machen. In diesen Gebieten wird die zunehmende Verschmutzung eine völlige Ausrottung des Fischbestands zur Folge haben, wenn nicht umgehend entscheidende Maßnahmen ergriffen werden.“

Es dauerte bis zum April 1970, bis ein Entwurf von Grundsätzen der Wasserschutzgesetzg .bung veröffentlicht wurde. Ein paar Tage danach wartete die „Komsomolskaja Prawda“ mit Zahlen über das Ausmaß der Verschmutzung des Ural-Flusses durch Industrieabfälle auf und wies nach, daß die bereits bestehenden Vorschriften über den Umweltschutz kaum durchgesetzt worden sind.

Der Zeitung zufolge werden in der Stadt Orenburg täglich

575.0 Kubikmeter giftige Abfälle in den Fluß entleert. In Orsk sind es 130.000 Kubikmeter, da die vorhandenen Kläranlagen nur für

10.0 Kubikmeter ausreichen. In Orsk wurde eine große Schmelzhütte in Betrieb genommen, obwohl Inspektoren in einem Bericht die Warnung ausgesprochen hatten, daß die Abfälle hundertfünfzig- bis dreihundertmal mehr Phenol ent halten, als in Sowjetvorschriften gesetzlich erlaubt ist.

Die „Komsomolskaja Prawda“ klagte: „Leider übt die Justiz zuviel Nachsicht mit Leuten, die gegen die Naturschutzgesetze verstoßen. Die Gesetzesbrecher werden nicht bestraft, sondern erhalten sogar dicke Prämien, wenn sie neue Fabriken, die bestimmt keine Kläranlagen haben, vorfristig in Betrieb nehmen.“

Andere sowjetische Zeitungen berichteten über die noch ärgere Verschmutzung der Wolga, des Kaspischen Meeres und des Asowschen Meeres sowie des Baikalsees in Sibirien. Das Ausmaß der Verschmutzung dieses großen Sees ist besorgniserregend, bereits 1965 berichtete die „Prawda“, daß ein Chemiewerk am Birussa-Fluß, der in den Baikalsee mündet, dessen einst kristallklares Wasser so verschmutzt hat, daß es jetzt nicht einmal mehr gefiltert für den menschlichen Genuß in Frage kommt. Eine am Ufer des Sees errichtete Zellulosefabrik läßt jährlich 79 Millionen Tonnen Sulphatabfälle ab, womit sie „eine Todeszone schafft, in der kein lebender Organismus überdauern kann. Und diese Zone wird mit jedem Jahr größer“.

Es vergingen vier Jahre, bis die sowjetische Regierung endlich einen Plan gegen die Verschmutzung des Baikalsees bekanntgab. Einer Papierfabrik am Seeufer wurde eine Frist bis Ende 1970 gesetzt, um eine Kläranlage zu errichten. Eine andere Fabrik, die noch im Bau ist, wurde angewiesen, vor Aufnahme der Produktion eine Anlage für die Unschädlichmachung von Abfällen zu errichten.

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