Nicht nur theologisches Know-how

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Seit zwei Jahren gibt es in Österreich die Jüdische Religionspädagogische Akademie. Eine neue Generation von Religionslehrern und -lehrerinnen soll nicht Wissen vermitteln, sondern auch bei der Suche nach Werten helfen.

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Seit zwei Jahren gibt es in Österreich die Jüdische Religionspädagogische Akademie. Eine neue Generation von Religionslehrern und -lehrerinnen soll nicht Wissen vermitteln, sondern auch bei der Suche nach Werten helfen.

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Wir sind überzeugt, daß die Schule heutzutage nicht nur eine Anstalt ist, in der man Wissen vermitteln soll, sondern sie übernimmt mehr und mehr die Rolle der Erzieher", erklärt Rabbi Jacob I. Biderman, Direktor der jüdischen Lauder-Chabad-Schule in Wien. Ein Wandel, der sich besonders im Religionsunterricht deutlich bemerkbar macht.

Wie katholische und evangelische Religionslehrer davon abgehen mit ihren Schülern den Katechismus zu pauken, so wendet man sich auch im jüdischen Religionsunterricht von reiner Wissensvermittlung ab, hin zu einem Stück Lebenshilfe. "Unsere Generation steht vor großen moralischen Fragen", so Rabbi Biderman. "In dieser Wettbewerbsstimmung, die sich gerade am Ende dieses Jahrtausends bemerkbar macht und dem Materialismus, der unseren Alltag prägt, sind geistige Werte wieder ein Thema, wo man zu Hause nicht unbedingt immer Antworten bekommt."

Also hätten die Religionslehrer nicht nur die Aufgabe theologisches Know-how und Bibelwissen zu vermitteln, sondern auch den Kindern beizustehen bei ihrer Suche nach einer Werteskala für ihr Leben - Werte, die es manchmal abzuwägen gelte, so Rabbi Biderman: "Loyalität und Gerechtigkeit, Güte und Gesetzestreue oder Glaube und Menschlichkeit". Es gebe verschiedene Werte, mit denen sich ein Kind sein ganzes Leben lang auseinandersetzen müsse. "Wenn wir es in der Schule nicht vermitteln, dann weiß ich nicht, woher die Kinder heutzutage ihre Werteskala und ihr menschliches Fundament im geistlichen Sinn holen sollen", meint der Direktor der Lauder-Chabad-Schule.

Eignung - fachlich und menschlich Eine Menge Verantwortung für die künftigen Religionslehrer und -lehrerinnen. Damit diese noch besser ausgebildet werden können, gibt es seit 1997 in Wien eine eigene Jüdische Religionspädagogische Akademie (JPA), um den Bedarf an jüdischen Pädagogen in Mittel- und Osteuropa zu decken. Die deutschsprachige Akademie hat das Öffentlichkeitsrecht im Bereich der pädagogischen Ausbildung in den spezifischen jüdischen Gegenständen, etwa dem hebräischen Sprachunterricht, Religion, Geschichte, Philosophie, erklärt Alexander Zirkler, der administrative Leiter der JPA. Die Fächer aus dem Bereich der Humanwissenschaften, wie Unterrichtswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Sonderpädagogik und ähnliches absolvieren die angehenden Lehrerinnen und Lehrer an der Pädagogischen Akademie in Wien. Das Studium an der JPA dauert insgesamt drei Jahre: zwei an der Akademie und ein Jahr Praktikum. Der Abschluß an der JPA wird auch in Israel anerkannt, sodaß dieses Studium vielfach anwendbar wird.

Geschenkt wird einem dabei allerdings nichts - sowohl was die fachlichen, wie auch die menschlichen Anforderungen betrifft. Wer sich mit Sprachen schwertut, wird so seine Probleme an der JPA haben, meint Alexander Zirkler: "Die Unterrichtssprache ist grundsätzlich Deutsch - an der Pädagogischen Akademie wird diesbezüglich ein sehr hohes Niveau abverlangt - andererseits ist es für das Verständnis der jüdischen Fächer grundsätzlich nötig, über sehr gute Hebräischkenntnisse zu verfügen."

Darüber hinaus sollen die Absolventen der JPA in Zukunft auch Zuwanderer-Kinder, die mehr und mehr die jüdische Gemeinde in Wien prägen, unterrichten können. Die hohen fachlichen Anforderungen sind vielleicht ein Grund dafür, daß mittlerweile beinahe die Hälfte der ursprünglich 38 Lehramtsstudenten das Handtuch geworfen haben. Ein anderer Grund ist vielleicht darin zu sehen, daß stets "die hohe Verantwortung betont wurde", die die Lehrer in Zukunft tragen werden, glaubt Rabbi Biderman, Direktor der Lauder-Chabad-Schule, unter deren Obhut das Seminar stattfindet: "Es geht hier nicht nur um reine Wissensvermittlung wie bei einem Geographie-, oder Biologielehrer, sondern es geht hier wirklich darum, das zukünftige Leben dieser Kinder zu prägen."

Integration, nicht Assimilation Rund 2.000 Schüler und Schülerinnen besuchen in Österreich den jüdischen Religionsunterricht. Dazu gibt es drei große jüdische Privatschulen, in denen etwa 1.000 jüdische Kinder die Schulbank drücken. "Es gibt Eltern, die unbedingt wollen, daß ihre Kinder eine jüdische Schule besuchen und es gibt andere - und die sind in der Mehrheit - die sich sehr auf den Religionsunterricht verlassen", erklärt Rabbi Biderman.

Diese Eltern wollen, daß ihre Kinder eher multikulturell aufwachsen und sich noch mehr in Österreich integrieren. Der Besuch einer öffentlichen Schule soll dabei helfen. Doch gleichzeitig wollen diese Eltern natürlich nicht, daß ihre Kinder ihre jüdische Identität aufgeben, meint der Rabbiner: "Integration, aber nicht Assimilation".

Hier zeichnet sich ein breiter Umdenkprozeß ab. Während in den 60er Jahren viele moderne jüdische Familien gedacht haben, daß für ihre Kinder kein Religionsunterricht nötig sei, stellt Rabbi Biderman ab Anfang der 90er Jahre einen Umschwung hin zur Religion fest. Auch sehr säkulare Familien, "sogar solche, die sich als Agnostiker definieren", haben das Gefühl, daß der Religionsunterricht eine Bereicherung für ihre Kinder sein könnte. Denn erst wenn man um seine Religion wisse und darüber lerne, könne man seine eigene Wahl treffen.

Die jungen Lehrer und Lehrerinnen - der Großteil davon sind Frauen - der Jüdischen Religionspädagogischen Akademie scharren schon in den Startlöchern. Nach zwei Jahren theoretischer Ausbildung sollen sie nun das erworbene Wissen in der Praxis umsetzen. Und die nächsten Studenten können bereits nachrücken: Die Anmeldefrist für den nächsten Studienlehrgang ab September 1999 läuft schon. "Die große Nachfrage und der Erfolg bestärken uns darin, solche Seminare auch in Zukunft für jüdische Pädagogen aus ganz Europa durchzuführen", so Direktor Biderman.

Interreligiöse Zusammenarbeit Besonders stolz ist man an der JPA auf die gute Zusammenarbeit mit Religionspädagogischen Akademien anderer Religionen, erklärt Alexander Zirkler. "Besonders die evangelische und die katholische haben mitgeholfen, daß sich unser Institut konstituieren könnte. Das hat zu einem Vertrauensverhältnis geführt."

Ein Vertrauensverhältnis, das auch auf die vor kurzem gegründete islamische Relgionspädagogische Akademie ausgedehnt wurde, der nun ihrerseits die inzwischen etablierte JPA mit Rat und Tat zur Seite steht. In diesem Sinne braucht man sich um die interreligiöse Offenheit der künftigen Religionslehrer und -lehrerinnen wohl keine Sorgen zu machen. Sie bildet praktisch einen Teil ihrer Ausbildung.

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